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#fettlogik

Ich habe hier jetzt längere Zeit nichts mehr geschrieben.

Wollte mich beschützen. Nicht verletztbar machen.

Ich habe hier nie viel persönliches von mir preisgegeben und der Blog war eigentlich dazu da einen allgemeinen Einblick in das Leben einer Muslima zu schaffen.

Ich habe viel positive Rückmeldung bekommen. Es hat mich gefreut zu sehen, wie gerne ich gelesen werde, wie erfolgreich mein Blog ist.

Die Schattenseite davon war sich daran zu gewöhnen. Nicht vorbereitet zu sein auf harte Kritik. Auf Ablehnung.

Auf Menschen aus meinem persönlichen Leben, die mir weh getan haben. Sich von mir abgewendet haben.

Warum? Weil ich Dinge von mir preisgegeben habe, die privat hätten bleiben sollen.

Ich habe mich ein bisschen wie eine Märtyrerin gefühlt. Jemand der mutig sein wollte und sich zur Zielscheibe gemacht hat, um ein Fenster öffnen zu können. Nicht das einzige Fenster, aber ein weiteres Fenster zwischen zwei Kulturen. Zwischen zwei Welten. Zwischen zwei Lebenswirklichkeiten. Aber als es angefangen hat zu ziehen, wie es eben zieht, wenn viele Fenster in einem Haus offen stehen, hat mich die Angst vor einem Sturm gepackt. Ich habe mich zurückgezogen, die Rollläden herunter gelassen und aufgegeben.

Heute las ich etwas über eine andere Bloggerin – Nadja Hermann aka Erzählmirnix. An dieser Stelle etwas Werbung: Sie zeichnet grandiose Comics. Nicht lobenswert wegen dem Zeichenstil, sondern wegen den Inhalten. Ich habe mich heute an alte Zeiten zurück erinnert, als ich mich noch mit vielen Bloggern persönlich austauschte. Als es mir noch Spaß machte zu glauben ich könnte irgendetwas verändern in anderen Menschen. Lange Rede, kurzer Sinn: Sie, also Erzählmirnix schrieb ein Buch mit dem Titel „Fettlogik überwinden“.

Sie wog mit Anfang 30 schon über 150 kg und hat es über wochenlange Arbeit geschafft 85 kg abzunehmen. Nach dem, was ich lese, schließe ich, dass sie jetzt ihren Körper liebt. Jetzt, wo sie etwas daran verändert hat. Trotz der überschüssigen, überlappenden Haut, die sie auf Fotos zeigt, liebt sie ihren Körper jetzt, wo er sich verändert hat. Sie wiegt jetzt eigentlich genauso viel, wie normale Menschen wiegen, die keine 85 kg abgenommen haben und sich nicht dünn fühlen. Aber sie fühlt sich jetzt wohl mit ihrem Körper, sonst könnte sie nicht so viel persönliches von sich zeigen, sich angreifbar machen. Das ist stark.

Das hat etwas in mir ausgelöst. Ich will wieder etwas persönliches schreiben. Nicht, um etwas zu erreichen, wie früher. Nein. Mehr, um dieses Gefühl mit ihr zu teilen. Etwas nackte Haut zeigen, im übertragenen Sinn. Ich brauche das jetzt, um nach den Fotos, die ich von ihr gesehen habe wieder locker durchatmen zu können.

Also.

Man kann überhaupt nicht sagen, dass ich fett gewesen bin als ich mit 17 Jahren und der allgemeinen Hochschulreife in der Tasche die Schule verließ. Ich war normal, aber ich war auch, wie es üblich ist, wenn man normal ist unzufrieden mit meinem Körper. Um diese Unzufriedenheit bildlich zu untermalen: Wenn mein Vater ein Tier geschlachtet hat und wir uns zum Fleisch klein hacken und schneiden in der Küche versammelten, sah ich in dem Berg Fleisch, der auf dem Tisch lag meinen Oberschenkel und stellte mir in meinem inneren Augo vor Stücke aus meinem Oberschenken rauszuschneiden beim kleinhacken des Fleisches von einem fremden Tier. So unwohl. Und um das nochmal anzumerken, sehr unberechtigt unwohl. Denn es gab wirklich ganz und gar nichts zu bemängeln an meinem Körper – rückblickend gesagt. Man könnte denken, dass ich entweder undankbar war oder keine anderen Sorgen hatte. Ich hatte andere Sorgen, deshalb schließe ich daraus, dass ich undankbar war. Allah möge mir vergeben!

Jetzt folg ein bedeutender Zeitsprung.

Dass ich angefangen habe Jura zu studieren war kein persönlicher Wunsch. Ich habe es eher getan, weil ich meinen Studienstart als einen Neuanfang sah. Eine offene Tür, die einzige Tür, die ich hatte, um wegzulaufen, vor einem Lebensabschnitt, den ich aus meinem Leben ausradieren wollen würde, wenn ich könnte. Mein ehemaliger zukünftiger Bräutigam ließ unsere bevorstehende Hochzeit platzen. Es wäre eine Ehe ohne Liebe gewesen, vielleicht mit Liebe, die irgendwann notgedrungen entstehen hätte können, aber es ist auf jeden Fall ein Traum/Albtraum (ich kann es nicht genau sagen), der unerwartet geplatzt ist und dem ich nicht hinterhertrauere.

Vor einigen Wochen als meine Eltern im Urlaub waren, habe ich auf ihr Haus aufgepasst und mein altes Brautkleid aus dem Dachboden rausgeholt. Es sieht wie jedes Brautkleid aus als wäre es nie getragen worden, weiß, sauber, rein – wunderschön!

So unerwartet, wie ein Plan B her musste, schrieb ich mich kurzerhand in der Uni ein und floh in eine neue Welt, in der mich die alte einholte. Das Jurastudium machte mich nicht glücklich. Es überforderte mich. Ich fühlte mich alleine, weggestoßen, traumatisiert, verlassen, alleingelassen, zurückgelassen, weggestoßen, unmündig, instumentalisiert, bedeutungslos, überfordert, unglücklich, enttäuscht, verraten, betrogen, eingeengt, unfrei, usw. Viel zu viele Emotionen, als dass ich sie erfassen könnte.

Keiner weiß, was daraufhin genau geschah. Kein Arzt konnte es mir bis heute für mich schlüssig erklären. Aber ich wurde sehr krank. Ich habe in dieser Zeit 10 kg zugenommen. 10 kg, die ich immer noch auf den Rippen trage. Mein ganzer Körper war übersäht von blutenden, pockenartig verteilten Wunden. Wunden die von alleine entstanden und von denen ich immer noch auf meiner ganzen Haut Narben habe. Bis heute. Wenn ich nackt vor dem Spiegel stehe fällt mir beim Anblick meines Körpers nur ein Spitzname ein, den mir ein befreundeter Arzt gegeben hatte – Leoprint. Ich war energielos in dieser Zeit, verließ ein Jahr lang kaum das Haus, zum Arzt zu fahren war für mich eine Qual, denn meine Kleidung klebte an den offenen Wunden. Ich war oft fiebrig, oft im Krankenhaus, oft müde, von all den Medikamenten, die ich zu mir nehmen musste. Ich wusste nicht, was ich habe. Warum ich krank war. Warum Ärzte zu mir sagten, sie wissen nicht, wie man das heilt. Kortison vielleicht? Dies vielleicht? Das vielleicht? Probieren wir einfach alles aus. Stopfen wir einfach alles in sie rein. Schauen wir einfach, was dabei herauskommt.

Ich habe nur ein einziges Mal in meinem Blog über diese Zeit geschrieben. Hier ein Link. Eigentlich wollte ich es nur verdrängen, wollte nur, dass es vorübergeht. Und es ging vorüber. Einfach so. Nicht von einem Tag auf den anderen. Aber es wurde jeden Tag besser, ganz von alleine.

Heute bin ich wütend, dass ich das alles erleben musste. Ein Übel in meinem Leben jagte das andere. Ich war wütend, dass ich mich von einer Hand voll Männern wie einen Gegenstand behandeln lassen habe. Unter diesen Männern mein Vater, der blind gewesen sein musste, nicht zu erkennen, wie furchtbar es ist, das Schicksal seiner Tochter auf diesem Weg zu besiegeln. Aber er hat mich auch gerettet. Obwohl er es anfangs noch selbst eingefädelt hat, hat er irgendwann angefangen so viele Forderungen an den Kerl zu stellen, immer mehr und mehr, bis der dann doch irgendwann weggelaufen ist. Ich glaube, mein Vater hatte einfach nur Angst und wusste es nicht besser und ich habe einfach mitgemacht, weil ich dachte, ich muss das. Jedenfalls liebe ich meinen Vater mehr, als ich ihn vorher geliebt habe und ich denke, dass es ihm auch so geht.

Wir haben nie miteinander darüber gesprochen. Weder über die arrangierte Ehe, noch über mein Kranksein.

Und erst jetzt. Mit diesen Narben. Mit diesen Kilos. Ohne irgendwas. Ohne Geld. Ohne Arbeit. Ohne einen Studienabschluss. Immer noch unvollständig. Immer noch schwach. Mit so vielen falschen Entscheidungen, Fehlern und Macken. Mit so vielen schlaflosen Nächten, Alpträumen, Nervenzusammenbrüchen, Heulkrämpfen, Verurteilungen, Wutausbrüchen. Mit diesem ganzen Chaos. Mit ohne nichts, bin ich zufrieden mit mir. Ich liebe mich jetzt, mit all diesen Narben, mit all meinen Fehlern. Und ich kann mir nur selbst die schuld geben, dass ich das so lange nicht getan habe – und es tut mir Leid. Allah möge mir vergeben!

Musste das alles sein? Müssen Menschen solche Dinge erleben, 85 kg abnehmen, bluten und kämpfen, um sich selbst lieben zu können?

Ihr könnt euch vorstellen, dass das nicht die ganze Geschichte ist. Aber es sind gerade alle Worte, die raus mussten, als ich etwas über die #fettlogik von Nadja Hermann las. Vielleicht sollte ich auch ein Buch schreiben, darüber wie alles begann und wie alles endete. Aber ich warte eigentlich noch auf den interessanten Teil dieser Geschichte – den sinnvollen Teil.

Danke für’s teilhaben. Ich hoffe, ich bereue diesen Text nicht. *Augen zu & auf senden drück*

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  1. Pingback: Bluten und kämpfen, um sich selbst lieben zu können? | Fettlogik überwinden.

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