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How to be a good Medien-Kopftuch

Ich habe in den letzten Wochen wieder mal sehr viele Interview-Anfragen bekommen und wurde sogar zu zwei Talk-Shows eingeladen: mal ehrlich vom SWR und stern TV von RTL. Solche Anfrage-Wellen kommen immer dann, wenn wieder irgendein typisches Kopftuch-Schock-Thema durch die Medien geht: Burka-Verbot, Kopftuch-Verbot, Burkini-Verbot, Werbespots mit Kopftüchern, Richterinnen mit Kopftüchern, Beschneidungsverbot, Schächtverbot, Gebetsraum-Verbot, Doppelpass, türkische Wahlkampfauftritte, offizielle, muslimische Feiertage-Einführ-Wünsche, Flüchtlinge, Attentate von Menschen, die nach eigenen Aussagen angeblich muslimisch sind.

Wie ich mit solchen Anfragen umgehe und was ihr daraus machen könnt, erfahrt ihr hier.

Medien, Medien, Medien.

Kopftuch-Verbot in Schulen

Österreichs rechtskonservative Regierung will Schülerinnen untersagen, mit Kopftuch in Kindergärten und Grundschulen zu gehen. Nordrhein-Westfalens Regierung will das nun aufgreifen und kündigte an, auch ein Kopftuch-Verbot für Mädchen unter 14 Jahren zu prüfen. Spiegel Online hat mich gefragt, was ich von einem solchen Vorhaben halte. Ich habe geantwortet, dass es für mich keinen Sinn macht, wenn eine Landesregierung sich mit so etwas beschäftigt.

Deutsches Recht für Dummies

Dazu eine kurze Exkursion in unsere Verfassung: Der Staat schützt die Familie. Schauen wir uns die ersten zwei Absätze des Artikel 6 unseres Grundgesetzes an:

  1. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

  2. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

Was heißt das denn nun? Es heißt, wenn du ein Kind in diese Welt gesetzt hast, dann ist es erstmal deine von Gott gegebene Pflicht, dich um dieses Kind zu kümmern. Wenn du dich nicht um das Kind kümmerst, dann nimmt der Staat es dir weg.

Das heißt, …

…wenn du es bei Hitze alleine in einem Auto vergisst und einkaufen gehst, dann nimmt der Staat dir das Kind weg. Zumindest sollte er das. Wenn du einen Lebensgefährten hast, der dein Kind sexuell misshandelt, dann nimmt der Staat es dir weg. Zumindest sollte er das. Wenn du deinem Kind nichts zu Essen gibst und einfach ein paar Tage in den Urlaub fliegst, dann nimmt der Staat es dir weg. Zumindest sollte er das. Wenn du dein Kind schlägst, weil es keine guten Schulnoten hat, dann nimmt der Staat es dir weg. Zumindest sollte er das.

Das heißt nicht, …

…dass der Staat dir das Kind wegnimmt, wenn du möchtest, dass dein Kind kein Fleisch ist, obwohl es gerne Fleisch essen würde. Wenn du ein Kind auf die Welt gebracht hast, dann hast du das Recht, dein Kind zu prägen und nach deinen eigenen Vorstellungen zu erziehen, so wie du es für richtig hältst. Es heißt auch nicht, dass der Staat dir dein Kind wegnimmt, wenn du möchtest, dass es früher nach Hause kommt oder kein Handy hat, auch wenn es dann von anderen Kindern gemobbt wird. Der Staat nimmt dir dein Kind auch nicht weg, wenn du es taufen lässt oder möchtest, dass es muslimisch erzogen wird. Auch wenn du dein Kind mit ungesundem Essen von McDonald’s fütterst oder in eine Ballettschule schickst, wo es körperlich total strapaziert wird, nimmt dir der Staat das Kind nicht weg. Und der Staat nimmt es dir auch nicht weg, wenn du es dazu zwingst, mit dir in den Urlaub zu gehen, obwohl es Spanien hasst, wenn du deinem Kind nicht erlaubst in die Bibliothek zu gehen, weil du nicht möchtest, dass es gebildet ist oder nicht erlaubst einen Hund zu haben, obwohl es tot unglücklich ist ohne Hund.

Jedem sein eigenes Kind

Und wenn andere, fremde Leute es nicht so toll finden, wie du das Leben deines Kindes gestaltest, dann nimmt dir der Staat das Kind immer noch nicht weg. Andere, fremde Leute haben nämlich das Recht, eigene Kinder zu bekommen, wenn sie das möchten. Der Staat freut sich und er will, dass du dich um dein eigenes Kind kümmerst. Es ist nämlich dein Kind und du hast das Kind auf die Welt gebracht. Es ist dein Recht, dein Kind so zu erziehen und das Leben deines Kindes so zu gestalten, wie du es für richtig hältst. Es spielt keine Rolle, ob es tatsächlich richtig ist oder tatsächlich das Beste für das Kind ist. Der Staat mischt sich da nicht ein.

„Der Staat schützt die Familie“ bedeutet, du musst dich um dein Kind kümmern und dafür sorgen und du darfst deinem Kind alles auf den Lebensweg mitgeben, was du möchtest, bis es erwachsen ist. Und wenn es erwachsen ist, dann kann das erwachsene Kind tun und lassen, was es möchte. Bis dahin müssen alle Kinder damit leben, dass ihre Eltern zwar meistens nur das Beste für ihre Kinder wollen, aber oft auch viele Fehler machen. Und die Fehler der Eltern sind auch ganz wichtig für die Kinder, weil die prägen sie auch sehr: Vielleicht ins Negative, aber ganz oft können die Fehler, die Eltern machen, ihre Kinder auch zu den besonderen Menschen machen, die sie dann als Erwachsene sind. Jeder, der Eltern hat, weiß das.

Gesetze sind keine PR-Instrumente

Demnach kann es der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW) eigentlich auch egal sein, ob ein 13-jähriges Mädchen Kopftuch trägt oder nicht. Und ob es das will oder nicht. Statt Gesetze zu entwerfen, die sowieso nichts bringen, weil alle Eltern mit ihren Kindern außerhalb der Schule trotzdem fast alles machen können, was sie wollen, sollten sie lieber versuchen, die Kinder zu beschützen, die wirklich in Gefahr sind, die Armut in ihrem Bundesland bekämpfen, die hohe Arbeitslosigkeit in ihrem Land bekämpfen, die Korruption ihrer SPD-Urgesteine bekämpfen, die Mafia bekämpfen, aufhören, unser Bruttoinlandsprodukt runter zu ziehen. Ehrlich gesagt hätte ich noch einhundert andere gute Ideen, mit denen sich die Landesregierung in NRW vielleicht eher beschäftigen sollte, statt sich Probleme zu suchen, um von ihrer gnadenlosen Unfähigkeit abzulenken. Meines Wissens nach gehört „eine Bevölkerungsgruppe diffamieren“ oder „ein Kleidungsstück kriminalisieren“ nicht zu den relevanten Aufgaben einer Landesregierung. Oder zählt das Vorhaben noch bei „Oh nein, unseren Bürgern gefällt die AfD besser. Wie können wir ihnen nur zeigen, dass wir genauso hohl sind, wie die, damit sie uns wieder wählen“ mit rein?

Die Gesetze, die früher verabschiedet wurden, waren derart auf den Punkt gebracht und durchdacht, dass es gar nicht nötig war, alle paar Jahre die Gesetze zu ändern. Sie wurden verabschiedet, weil sie einen Sinn hatten und nötig waren und auf dieser Basis, die von unseren Gründervätern gelegt wurde, funktioniert unser Staat heute immer noch. Hätten die Gesetzgeber damals auch einfach aus Jux und Tollerei Gesetzesentwürfe eingebracht, weil sie dann auf diese oder jene Wählerstimmen spekuliert hätten, dann hätte es vielleicht sehr schnell ein zweites Drittes Reich gegeben.

Zurück zu den Presseanfragen

All diese Dinge kann ich eben nicht sagen, wenn ich eine Interview-Anfrage bekomme. Bei Interviews kann meistens nur ein kleiner Teil von dem gesendet oder geschrieben werden, was gesagt wird. Und was bei den Zuschauern oder Lesern ankommt ist meistens am Ende sowieso nur das:

„Ah, schon wieder eine Kopftuchmaschine, die sich als Pressesprecherin des Islams sieht und sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, den super barbarischen und super gefährlichen Islam schön zu reden, damit ihre Terroristenfreunde im Stillen weiter Anschläge planen können.“

Zumindest ist das mein Fazit von den letzten fünf Jahren Medienarbeit. Mein Fazit. Das, was ich sehe. Das, was bei mir ankommt. Mein Ergebnis von all den Interview-Anfragen und Bitten von verzweifelten Redakteuren, die noch einen Protagonisten für den 50. Beitrag ihrer Redaktion suchen, warum eine Muslima denn nun in Deutschland unbedingt Kopftuch tragen will und ob es nicht super, super anstrengend ist an Ramadan bei der Hitze auf Wasser zu verzichten. Im besten Fall ist das so. Es gibt dann noch genug Redaktionen, die gar keinen Hehl daraus machen, dass sie eigentlich nur dein Kopftuch interessiert.

Logisches Denken vor sinnlosem Diskutieren

Deshalb wundert es mich nicht, dass anscheinend keiner der angefragten Muslime Lust hatte, morgen zu stern TV zu gehen und zu erklären, warum ein Kopftuch-Verbot sinnlos ist. Weil eigentlich kann sich das ja jeder, der das Grundgesetz lesen kann, herleiten. Und jeder, der einen gesunden Menschenverstand hat, der kann sich auch denken, dass die meisten Muslime in Deutschland ihre Heimat Deutschland wirklich lieben und den Rechtsapparat und die Gesetze wirklich lieben, denn sonst würden sie ja in ihre ethnischen Herkunftsländer „zurückkehren“, oder? Denn wer lebt schon gerne in einem Land in dem 40 % der Bevölkerung denkt, dass man nur ein wertloser Schmarotzer bist, 50 %, der einen nicht als Nachbar haben wollen und 60 % einem ihre Wohnung nicht vermieten würden. Einfach nur, weil man muslimisch ist? Muslime, die lieber in Deutschland leben, als in Marokko oder der Türkei, würde ich mal sagen. Oder? Mal ehrlich: Ist das nicht Liebesbeweis genug?

„Das Thema kann nicht realisiert werden.“

Jedenfalls hat stern TV ihr Thema für den 9. Mai von „Sollte das Kopftuch für Minderjährige verboten werden?“ zu „Süßes Gift: Warum Zucker Deutschlands größtes Suchtproblem ist“ geändert. Echt schade, denn: Der Redakteur von der Produktionsfirma, der mich angerufen hat, war wirklich sehr freundlich und hat mir viele Fragen gestellt und mir lange zugehört. Er hat lange nach einer Familie gesucht, die schildern möchte, warum sie es für sinnvoll halte, dass ihr Kind Kopftuch trägt. Die Sendung hat eine sehr, sehr hohe Reichweite, wodurch viele Menschen wahrscheinlich mitbekommen hätten, dass diese Eltern ihr Kind gar nicht hassen und ihm das Leben gar nicht zerstören wollen.

Aber ich kann verstehen, warum niemand Lust hatte mitzumachen. Ich hatte ja auch keine Lust mitzumachen, obwohl ich dann wahrscheinlich in den nächsten Wochen noch 10 Mal mehr Interview-Anfragen bekommen hätte und 100 Mal so viele Leute meinen Blog lesen würden. Ich wollte es nicht, weil es mir eigentlich gar nichts bringt, dass der Redakteur nett ist. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf diese Diskussion und auf den ganzen Hatespeech danach und ich hatte auch keine Lust darauf, eine Quotenmuslima zu sein, die danach wieder bis in die Nacht hunderte Mails beantworten muss, weil sie Angst hat, dass die Leute, die keine Antwort bekommen verärgert sind und auch die AfD wählen. Es ist einfach anstrengend und frustrierend, alles hundert Mal zu erklären und dafür zu kämpfen, dass es endlich Frieden und Verständnis gibt. Und dann ist da kein Ergebnis in Sicht, außer das Missverstandenwerden und das Alleinsein mit den ganzen Vorwürfen und dem Hass, der danach kommt. Ich habe einfach keine Lust, eine Märtyrerin zu sein, die ihr tolles, fröhliches Leben aufgibt, weil die Hoffnung besteht, dass dann vielleicht nicht ganz so viele Leute denken, dass der Islam eine grauenvolle Gefahr für dieses Land ist.

Mehr als ein Kopftuch

Deshalb will ich einfach mehr andere Dinge tun. Ich glaube daran und ich weiß, dass ich viel mehr kann, als Kopftuch tragen. Ich mache auch so vieles mehr, als einfach nur Kopftuch zu tragen. Und so viele andere Menschen mit Migrationshintergrund machen auch so viel mehr, als Migranten zu sein und meistens alles andere als mit Gras zu dealen oder alte Rentner auszurauben. Und ich glaube auch daran, dass immer mehr Menschen das erkennen und uns neue Deutsche als Bereicherung sehen. Dieter Zetsche, der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, sieht das beispielsweise so. Der erfolgreiche Manager mit dem markanten Schnurrbart sagt, dass ein Kopftuch genauso in die Management-Etage von seinem Unternehmen reinpasst wie seine Glatze. Deshalb bin ich manchmal richtig stolz darauf, Stuttgarterin zu sein.

Im folgenden Video zeige ich mit meiner Kommilitonin Tabea Günzler vier von tausenden Stuttgartern mit Migrationshintergrund, die alle in unsere Stadt gehören und sie bereichern.

Ich freue mich auf die nächsten Jahre meines Lebens, weil ich immer öfter selber Medien mache und mitgestalten kann und glaube, dass es mir viel mehr bringt, hinter der Kamera zu stehen, als davor. Trotzdem werde ich wohl noch oft genug Medien-Gast sein, als Gastgeber, weil das bis zu einem gewissen Maß auch einfach dazugehört. Und so lange man nicht instrumentalisiert wird oder das Gefühl hat, dass es sich lohnen könnte, ist das auch vollkommen in Ordnung.

Warum mache ich trotzdem weiter?

Morgen Abend, am 9. Mai 2018, werde ich also doch zu einer Talkshow gehen. Das habe ich nach langem Überlegen und vielen Gesprächen heute entschieden. Ihr könnt mich um 22 Uhr bei mal ehrlich im SWR sehen. Dort geht es dann um Integration und ich habe große Lust, über meine Arbeit als Journalistin zu sprechen, und ich habe die große Hoffnung und das Vertrauen in die Redaktion und den Moderator Florian Weber, dass ich für sie nicht nur ein Kopftuch bin und dass es morgen auch nicht um mein Kopftuch gehen wird, sondern um Menschen. Das wird wahrscheinlich das erste Mal im deutschen Fernsehen sein, dass eine Kopftuch tragende Muslimin gezeigt wird, die nicht wegen einem Quadratmeter Stoff eingeladen wurde.

Tausend Dank euch

An dieser Stelle möchte ich mich bei meiner Kommilitonin Jannika Quaas bedanken, die mich ermutigt hat, die Chance weiter wahrzunehmen, ein Sprachrohr für meine Generation zu sein. Denn ich glaube, es stimmt: Wir sind eine neue Generation, der egal ist, ob unser veganer, bester Freund manchmal auch Wiener Schnitzel isst, unser schwuler Nachbar Kopftücher liebt oder ob unsere Mitbewohnerin eine Sudanesin ist und einen Couchsurfer eingeladen hat, der Bundeswehrsoldat ist. Der Mensch zählt. Das hoffe ich zumindest. Und das soll meine Botschaft sein. Das ist eine bessere Botschaft als zeigen zu wollen, dass Kopftuch tragende junge Frauen auch ganz gut Deutsch sprechen können. Das sollte nämlich den Leuten einfach langsam klar sein.

Dann danke ich noch den 351 Stimmen auf Instagram, die abgestimmt und teilweise sogar begründet haben, warum ich zu einer Talkshow gehen sollte oder nicht.

Und nicht zuletzt möchte ich mich bei meiner Professorin Christiane Ritz bedanken, die mir geholfen hat, mich zu entscheiden, ob ich ein Medien-Gast sein möchte oder nicht. Ich kann allen Schülern, die etwas mit Medien studieren wollen, die Hochschule der Medien in Stuttgart nur ans Herz legen. Ich habe hier schon so viel gelernt und mein Alltag ist alles andere als langweilig und monoton. Aber vor allem die Dozenten sind wirklich gold.

Allen, die vor den selben Frage stehen wie ich, möchte ich ihren Rat weitergeben. Beantwortet euch der Reihe nach diese vier Fragen:

  1. Gibt es eine Botschaft, die ich vermitteln möchte?
  2. Wenn es eine Botschaft gibt, die ich vermitteln möchten – wie lautet diese Botschaft?
  3. Falls ich eine Botschaft vermitteln möchte und mir klar geworden ist, wie sie lautet: Was ist dann das richtige Setting, die Botschaft zu vermitteln? Hilft mir das konkrete Format, meine Botschaft zu vermitteln?
  4. Und zum Abschluss die Frage: Welche Nachteile könnte ich durch den Auftritt erleiden und sind diese Nachteile es wert, die Botschaft in dem Format zu vermitteln?

Schreibt mir, wenn ihr etwas braucht. Ihr seid nicht allein. Ich bin für euch da!

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