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Die arabische Welt ist kein Milchreis

Der mehrfach preisgekrönte Moderator und Deutsche Welle Reporter Jaafar Abdul Karim hat heute sein erstes Buch „Fremde oder Freunde?“ herausgebracht. Ich durfte es im Vorfeld lesen und hatte anfangs die Sorge, dass er die arabische Welt stereotypisieren könnte, indem er versucht sie zu erklären. Doch das Buch bewirkt das Gegenteil: All die Gesichter und Geschichten aus dem Buch führen dazu, dass man gar keine Schubladen mehr findet. Letzten Sonntag habe ich mit ihm über sein Buch gesprochen.

Shababtalk-Moderator Jaafar Abdul Karim im Zaatari-Flüchtlingslager in Jordanien.

„Ich habe nach jedem Kapitel erst einmal eine Verdauungspause gebraucht“, gebe ich Jaafar gegenüber zu, als er mich fragt, wie mir sein erstes Buch gefallen hat.

„Warum?“, erwidert Jaafar überrascht. Mit dieser Einschätzung scheint er nicht gerechnet zu haben, was mich wiederum nicht überrascht. Der Schreibstil des Buches ist nämlich sehr einfach gehalten und das Buch dadurch leicht zu lesen.

Jaafar hat es geschrieben, als wäre es ein Brief. Ein sehr langer Brief an einen sehr guten Freund. Und genauso, wie man den Brief eines guten Freundes liest, rennt man als Leser förmlich von einer Seite zur nächsten, um endlich weiter blättern zu können und um endlich die nächste Geschichte zu erreichen.

Er nimmt den Leser an die Hand, erklärt erstmal, wie alles angefangen hat: Shababtalk, seine Talkshow bei der Deutschen Welle (DW). Die DW ist unser staatlicher Auslandsrundfunk. Dessen Aufgabe ist es, Deutschland vor allem für den Ausland als Kulturnation und freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat zu präsentieren und das Verständnis und den Austausch der Kulturen und Völker international zu fördern.

Und Shababtalk ist einer dessen Sendungen, in der Jaafar mit jungen Leuten aus arabischen Ländern über gesellschaftspolitische Themen diskutiert. Genau darum geht es auch im Buch. Jaafar nimmt einen mit auf eine Reise quer durch drei Jahre auf Sendung. Er erzählt von seinen Begegnungen, den Menschen, die er getroffen hat, ihren Problemen, Herausforderungen, aber auch Errungenschaften.

Genau das ist auch der Grund, warum ich das Buch nicht in einem Rutsch durchlesen konnte: Jedes Kapitel ist eine neue Geschichte. Jedes Kapitel ist ein neuer Mensch. Und diese Menschen stehen mal für Feminismus und den Kampf für Gleichstellung in einer unerbittlichen Welt und dann für Zwangsheirat und Polygamie. Es geht mal um Homosexualität und dann darum, die ein Flüchtling erstmals merkt, was es bedeutet wegen einem einfachen Kopftuch ausgegrenzt zu werden. Jede Geschichte wird gleichwertig und ohne eine Wertung erzählt. Aber man fragt sich als Leser, wie der Autor nur so ruhig und besonnen zur nächsten Geschichte springen kann. Nicht einmal ein Weißraum zwischen den Seiten, der einem Platz zum Aufatmen lässt.

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„Die Geschichten sind zu meinem Alltag geworden“, erklärt er: „Sie bewegen mich zwar und sie interessieren mich sehr, aber ich darf nicht zum Aktivisten werden, wenn die Menschen mit mir sprechen. Ich bleibe ein Journalist, der nicht wertet und der sich selber zurückstellt.“

Jaafar übernimmt in seiner Talkshow die Rolle des Zuhörers und in seinem Buch ist er einfach nur der Beobachter, der dem Leser berichtet, wie er all die unterschiedlichen Facetten dieser Menschen der arabischen Welt wahrnimmt. Jaafar stellt sich selbst in den Hintergrund und die Menschen in den Vordergrund. Auf jeder Seite und im ganzen Buch.

Allein im letzten Kapitel bietet er einen Einblick in seine eigene Gefühlswelt. Er erzählt dort von seinen eigenen Erfahrungen und Erlebnissen als frischer Ausländer in Deutschland. Wie er der Mensch geworden ist, der nun für Deutschland vor der Kamera steht und entscheidend das Bild prägt, das die arabische Welt von Deutschland hat. Seine Sendung erreicht mehrere Millionen Zuschauer und wurde mehrfach preisgekrönt.

Jedes Kapitel in dem Buch könnte ganze Reportagen oder einen Dokumentarfilm füllen, doch die spannendsten Buchseiten sind unbestreitbar die Letzten. Sie zeigen den erfolgreichen Journalisten von seiner menschlichsten Seite und sind mehr ein Manifest für eine bessere Welt mit besseren Menschen, als ein Teil des Buches. Ein Teaser für ein neues Buch womöglich. „Ich genieße erst einmal, dass ich dieses Buch geschrieben habe“, wehrt er sich sofort. „Es ist ein riesengroßer Schritt für mich.“

„Was mich wütend macht ist, wenn ein ganzes Menschenleben, in dem sich so viel bewegen könnte und in dem so viel passieren könnte, vergeudet wird, weil dieser Mensch sein Leben nicht so leben konnte, wie er es wollte. Und das kann so nicht weitergehen.“, deshalb mache er die Sendung und deshalb habe er sein Buch geschrieben. Er möchte den Menschen eine Stimme geben und die Vielfalt ihrer Bedürfnisse und Sorgen zeigen, um so für mehr Verständnis zu sorgen. „Ich bin eine Brücke, die beide Seiten versteht und versucht zu vermitteln.“, erklärt er.

Dabei ist es ihm wichtig jeweils beide Seiten zu zeigen, statt Klischees und Vorurteile zu verstärken: „Man kann die arabische Welt nicht pauschalisieren. Genauso, wie es unterdrückte Frauen gibt, gibt es auch Frauen, die unglaublich stark sind.“

Vor allem da in den letzten Jahren immer mehr arabischstämmige Menschen nach Deutschland gekommen sind, kann das Buch helfen, die Lebensumstände verstehen zu lernen aus denen diese Menschen hierhergekommen sind. „Die arabische Welt ist ein Teil von Deutschland geworden“, steht für Jaafar fest. Er selbst hat arabische Wurzeln und spricht sowohl fließend Deutsch, als auch Arabisch.

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Es überrascht vor allem auch, wie offen die Menschen zu Jaafar waren und wie viel sie ihm von sich preisgegeben haben. Ich möchte wissen, ob das auch in Deutschland so funktionieren würde: „Die Menschen wollen, dass man ihnen mal zuhört. Wir brauchen so ein Format dringend auch in Deutschland. Vor allem für die jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Egal, ob sie für sich zu Wort kommen, mit Politikern sprechen können oder miteinander diskutieren. Jeder würde mitbekommen, was in diesen jungen Menschen vorgeht und sie besser verstehen. Das würde unserer Gesellschaft sehr guttun.“, verspricht er.

Die durchweg positive Einstellung Jaafars zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch voller schwerer Schicksale und harter Kämpfe. Er macht mir Hoffnung und man wünscht sich als Leser, dass es noch viele weitere Jaafars da draußen gibt. Egal ob Araber oder Deutscher, egal ob Moslem oder Atheist.

Doch auch er selbst hat schon Diskriminierung und Rückschläge erlebt: „Manchmal habe ich schon das Gefühl gegen eine Wand zu laufen.“ Er wurde auf einer Pegida-Demo auf den Nacken geschlagen und wird regelmäßig bedroht. „Aber eigentlich macht mich wirklich nur Ungerechtigkeit richtig wütend. Die Unterdrückung oder Diskriminierung von Menschen.“, so etwas wolle er einfach nicht akzeptieren.

Wenn ihn selbst jemand beleidigt, bedroht oder angreift, interessiere ihn das nicht einmal: „Da stehe ich wirklich drüber.“ Es sporne ihn eher an weiterzumachen. „Als ich von dem Pediga-Anhänger geschlagen wurde, dachte ich ‚Jetzt erst recht!‘. Ich habe das Recht meinen Job zu machen und dieses Recht nimmt mir keiner.“

Denn es gäbe eine Sache, die ihm in den letzten 16 Jahren heilig geworden sei, seit er in Deutschland lebt und das ihn auch durch sein Buch begleitet hat: Das Grundgesetzt.