Mehr Scheinstaat, als mein Staat.
Meine Großeltern waren jung und idealistisch. Sie hatten auch in der Türkei Arbeit und meine Eltern würden auch jetzt noch in der Türkei Arbeit finden. Geld. Wohlstand. Zumindest so viel Wohlstand, wie hier. Möglicherweise sogar mehr. Die 40 Jahre, die meine junge Großfamilie in Deutschland lebt besteht größtenteils aus 30 Jahren Armut und Arbeit.[Weiterlesen]
Ohne Regeln
Es gibt 100 Mio Blogs in Deutschland und die wenigsten von ihnen werden professionelle sein. Die meisten Menschen schreiben wahrscheinlich für sich selber. So habe ich hier im Herbst 2013 auch angefangen. Nach einer krankheitsbedingten Absitzzeit in einer süddeutschen Klinik kam das Schreiben und damit auch das gelesen werden. Letzteres ist wirklich nicht selbstverständlich, zumal ich wirklich keine Ahnung habe, was ich hier mache.
Ich habe heute zum ersten Mal verstanden, wie man Widgets einrichtet, oder besser gesagt, was das überhaupt ist. Davor war es automatisch da und sah etwas unaufgeräumt aus. Meine Brust wallt sich vor Stolz!
Bloggen kann jeder, will ich damit sagen. Es gibt keine „political correctness“-Regeln, keine Form- und Fristvorschriften und weder Pflicht, noch Zwang. Das Netz ist Grenzen- und Barrierefrei in jeder Hinsicht. Die Freiheit, die man hier schnuppert, macht deutlich, wie viel Kreativität und Potential allein durch Bürokratie real gehemmt wird. Wir sollten uns dafür einsetzen, dass uns diese Freiheit nicht durch noch mehr Regeln und Patentrechte weggenommen wird, indem das Internet immer weiter kommerzialisiert wird. Es ist so schade, dass man die Piraten nicht mehr wählen kann.
Meine Mutter würde sich jetzt sowieso darüber aufregen, wie mich nur kreative Entfaltung beschäftigen kann, während in Syrien meine Glaubensgeschwister Leid und Not erdulden müssen.
Ich fühle mit diesen Menschen, sie sind in meine Gebete und soweit es geht in meine Handlungen eingeschlossen. Genau so, wie Notleidende in Afrika, Indien, China, Teilen der Türkei, ja auch hier in Deutschland und überall in der Welt, wo meinen Mitmenschen von ihrem Schicksal schwere Bürden auferlegt werden. Ich wünsche ihnen die Kraft, die sie brauchen, um das durchzustehen, von ganzem Herzen!
Das Internet zu verteufeln ist aber keine Lösung und rettet auch keine Leben. Das Internet ist gerade für den Islam von unüberschaubarer Bedeutung. Ich finde hier ein sehr buntes und gut durchmischtes Glaubensangebot, islamischen Austausch, Fatwa- und Suchdienste, Onlinebibliotheken, YouTube-Predikten, Hijab-Tutorials, Diskussionsforen und Webshops für islamische Artikel, wie Kopftücher, Gebetsteppiche und dergleichen, für deren Einkauf ich sonst einmal im Jahr in die Türkei reisen müsste, weil ich nicht in Mannheim, Köln oder Berlin wohne.
Der Islam hat in Deutschland keine richtige Infrastruktur. Neben der Tatsache, dass Muslime in Primär- und Sekundärmedien noch stark unter- oder fehlrepräsentiert sind, gibt es einfach auch nicht genug Moscheen hier. Das ist überhaupt kein Vorwurf an Deutschland, nur ein Argument für das Internet, das kein Ersatz für Muslime ist, aber eine wichtige Ergänzung.
Außerdem verändert das Netz die Muslime. Es macht sie offener und zugänglicher. Trotz mancher Stolpersteine, habe ich nie die Motivation verlaufen hier als Muslims zu schreiben. Meine Absicht war es nie Promotion für meine Religion zu machen, aber wenn ich lese, was mir geschrieben wird und sehe, wie viele Menschen, das primitive Geschmiere einer fast 20jährigen hier lesen, dann bin ich glücklich darüber, diese Türe geöffnet zu haben.
Ich hätte mir nie ausgemalt, welche Ausmaße das alles annehmen würde. Ich möchte mich bei allen Menschen bedanken, die mich lesen, die hinterfragen, die mich mit anderen Menschen teilen und unterstützen. Danke, ehrlich! Es ist unglaublich, dass ihr da seid. Mir gibt das so viel Motivation..
Die besten Grüße,
Mervy
PS: Nächstes Mal kommt etwas über Syrien, versprochen! 😉
mÄnners, muslimAs & modernArts
Ich wollte immer Künstlerin sein und vielleicht bin ich das auch wirklich. Wenn man sich Jurist nennen möchte, muss man die Jurisprudenz studieren und das Examen darin bestehen, aber um Künstler sein zu können, braucht man nur ein Werk oder eine Idee. Es gibt Kunst schon viel länger als die Kunstakademie und Autodidakten waren noch nie rar in der Kunst.
Trotzdem hätte ich gerne Kunst studiert. Ich finde es interessant und außerdem birgt es einen gewissen Reiz als Mulima eine Kunstakademie zu besuchen. Akt, Gras und Skulpturen..fremde Welten!
Der Islam ist eine sehr ästhetische Religion, da denke ich an Ornamente, Kaligrafie und Mosaike, aber sie kennt Grenzen, bisher jedenfalls.
„Du sollst dir kein Bildnis machen in irgendeiner Gestalt, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst sie nicht anbeten noch ihnen dienen.“ (5. Buch Mose Kapitel 5, Verse 8-9)
So ähnlich, wie in diesem Bibelzitat, sieht das auch im Koran aus. Früher beteten viele Menschen zu Bildern und Skulpturen von Göttern in Tier- oder Menschengestalt. Um diese Anbetung von selbst gemachten Bildern abzuschaffen, wurde in allen monotheistischen Religionen die Darstellung Gottes, eigentlich sogar von Menschen und Tieren, untersagt.
Was mich vom Bachelor of Arts abschreckte, war aber etwas anders: Feminismus!
Vielen wird klar sein, dass ich kein Feind des Feminismus bin. Ich unterstütze ihn, wo er für Gerechtigkeit steht, aber ächte ihn, wo er zur Ungerechtigkeit selbst wird!
Kunst war mein Hauptfach im Abitur und unser Schwerpunkt lag auf einer bestimmten Künstlerin, einer modernen Frau, für die ein Mann nichts mehr wert war. Ein Mann. Ein primitives Wesen, das nur gut ist zum Straßen fegen, die Müllabfuhr, Armee oder den Bergbau. Ein machtgieriges Wesen, das überall überrepräsentiert ist und alles, alles, alles und jeden beherrschen will. Ein unberechenbares Wesen, das nur das eine im Kopf hat und deswegen eine Bedrohung für jede Frau darstellt.
Wieder musste ich mir ekelhafte Dias von einer Frau anschauen in der ich nichts sah, außer Hohn und Hass.
Bei einem der Bilder, sie selbst, mit einem Phallus unterm Arm, den sie triumphierend „Kleines Mädchen“ nannte, war meine Toleranzgrenze erreicht und ich äußerte Kritik. Doch so engstirnig, wie einige Lehrkräfte an unseren Schulen, leider oft noch sind, wurde ich selber zur Zielscheibe, weil ich mit dem Opfer solidarisierte.
Ich solle doch den Raum verlassen, wenn ich Probleme mit Freizügigkeit hätte. Aber es sei ja normal, dass ich als Gefangene meines Kopftuchs, das Symbols der Unterdrückung durch Männern wohlgemerkt, Schwierigkeiten damit hätte, wenn eine andere Frau sich einem Mann überlegen fühle. Ich hätte einfach kein gesundes Verhältnis zu Sexualität!
Ich wurde bloßgestellt, als wäre ich ein lächerliches, dummes Schaf, das nichts von der Welt kennt, sich seinen Peinigern unterwirft und nicht begreifen kann, wie modern, wie fortschrittlich und wie stark diese Frau ist.
Eine Frau, die sich behauptet. Eine Frau, die sich nicht ausziehen muss, um ins MoMa in New York zu kommen. Eine Frau, die als Künstlerin, nicht als Objekt zwischen all den großen Männern in den Museen steht und sie belächelt und weiß, dass sie nun die Macht hat, dass sie nun die Bedrohende, nicht die Bedrohte ist mit ihrem „Kleinen Mädchen“.
Harmoniebedürftig, wie ich bin, setzte ich mich ruhig wieder an meinen Platz und schwieg. Viele werden das als Schwäche sehen, aber stark ist nicht, wer am lautesten um sich schreit und im Recht ist nicht unbedingt, wer Recht behält. Das hat mein Vater mir beigebracht.
Als Abiskupltur machte ich eine schwangere Frau, die ich „Großes Mädchen“ nannte und bekam für sie als einzige meines Jahrgangs die Höchstpunktzahl. Ich habe nie höhnisch darüber gelacht. So will ich niemals sein.
Was mir immer klarer wird ist, dass eine Feministin, die einem Mann ungerechtfertigten Hass entgegen bringen kann, den gleichen Hass auch muslimischen Frauen gegenüber preisgibt. Auf der anderen Seite gibt es tatsächlich auch muslimische Männer, die wegen Traditionen ihres Kulturkreises ihre Religion vergessen haben und muslimische Frauen nicht wertschätzen können. Eben diese Männer sind es, die auch westliche Männer als „Schwächlinge“, „Weicheier“ oder „Memmen“ abstempeln und von westlichen Frauen träumen. Das, einmal zugespitzt formuliert.
Als der Islam geboren wurde, ehrte er die Frau, wie eine Königin. Die Gefährten und Gefährtinnen des Propheten standen auf Augenhöhe miteinander, so wie es in der Geschichte des Islams leider nie wieder der Fall war. Der Islam führe das Erbrecht für die Frau ein, als Frauen anderorts nicht einmal ein Recht auf Besitz hatten. Mekka war eine Stadt, in der Frauen lebendig begraben wurden, bis Mohammed (s) der Unterdrückung ein Ende setzte.
Nun ist es mehr als Zeit, für eine islamische Renaissance.
Wir müssen uns gegenseitig respektiert, ganz gleich welchen Geschlechts oder welcher Religion, klar oder?
Mervy Kay
P.S.: Ich hoffe, diesen Text haben keine Kinder gesehen, die jetzt von den Bildern traumatisiert sind, so wie ICH!!