Meine Twitter-Timeline ist seit heute Morgen überhäuft von „Hinz & Kunz“-Witzen. Mittlerweile sollte auch jeder mitbekommen haben, dass eine SPD-Bundestagsabgeordnete namens Petra Hinz ihren Lebenslauf frisiert hat. Abgesehen davon, dass Lügen längst ein Kavaliersdelikt zu sein scheint unter Politikern, frage ich mich in diesem Fall, ob nur sie von dieser Lüge wusste oder auch ihr Umfeld. Ihre Eltern, Verwandten, Schulfreunde, ehemaligen Kommilitonen und auch Arbeitskollegen hätten doch irgendetwas merken müssen. Wir sprechen hier schließlich nicht nur von einer allgemeinen Hochschulreife, sondern auch von einem abgeschlossenen Jurastudium mit zwei Staatsexamen.[Weiterlesen]
Betül Ulusoy – aus Berlin – Juristin und Referentin für Islam & Frauen, Recht & Interreligiösen Dialog, spricht – in Tübingen – über Wirkung, Akzeptanz und rechtliche Regelung des islamischen Kopftuchs.
Donnerstag, 2. Juli 2015
Neue Aula, Hörsaal 10
18 Uhr c.t.
Die Veranstaltung richtet sich an FreundInnen, StudentInnen und MitarbeiterInnen der Juristischen Fakultät.
Im Anschluss an den Vortrag besteht im Rahmen einer offenen Diskussionsrunde Möglichkeit für Fragen und Ideenaustausch.
Barrierefreiheit
Warum ist das Kopftuch in Deutschland so ein großes Problem?
Das AGG soll unter anderem in der Berufswelt die Gleichberechtigung sichern. Man darf einen Bewerber nicht aufgrund seiner religiös motivierten Kopfbedeckung ablehnen. Warum werden Frauen die Kopftuch tragen trotzdem systematisch abgelehnt? Woher kommt diese Scheu? Es ist nur ein Stück Stoff!
Der Staat hat in jedem Land eine Repräsentations- und Vorbildfunktion. Man darf den Staat aber nicht repräsentieren, wenn man Hijabträgerin ist. Man darf keine Lehrerin, keine Richterin, keine Staatsanwältin und keine Polizistin werden.
Man sei dann eben in einer bestimmten Funktion, die es erfordert, den Hijab abzulegen. Als Ärztin muss man das Kopftuch auch ablegen. Es gibt klare Vorschriften für die Arbeitskleidung. In die Bundeswehr kann man nicht mit Kopftuch. Es gibt keine Politiker mit Kopftuch.
Warum sollte also ein Unternehmen, das sogar auf die Nagellänge der Angestellten achtet, jemanden einstellen, der Kopftuch trägt? Warum sollte eine Kleinkanzlei das auf sich nehmen?
Habe ich eine Behinderung? Nein. Bin ich behindert? Ja.
Beruflich bin ich so eingeschränkt, wie jemand, der querschnittsgelähmt ist. Warum? Wegen der deutschen Bürokratie, wegen der man durch ein Stück Stoff so eingezäunt wird, wie in kaum einem anderen freiheitlich-demokratischen Land.
Warum ich nicht kompromissbereit bin und einfach mein Kopftuch ablege? Warum soll ich das machen? Hindert es mich daran meine Arbeit gut zu machen? Bin ich, wenn ich es geschafft habe Richterin zu werden, nicht in der Lage, so selbstreflektiert zu urteilen, meine Religion und meinen Beruf auseinander zu halten? Wie wird sicher gestellt, dass ein Richter dem man seine Ansichten nicht ansieht, selbstreflektiert handelt?
Dürfen Frauen, die Kopftuch tragen auch nicht Vorsitzende vom Elternbeirat werden, weil sie mit einem Kopftuch nicht in der Lage sind Eltern zu repräsentieren, die kein Kopftuch tragen? Und Eltern mit Tattoos können das sowieso auch nicht. Und Eltern mit einem Kugelbauch auch nicht. Man darf nicht anders sein, um dazu zu gehören, ein Teil sein zu können.
Und ich integriere mich nicht?
Der Staat muss Muslime stärker einbinden. Zu Freunden machen, statt zu Feinden, damit auch seine Bürger Vertrauen aufbauen können. Eine Frau mit Kopftuch wird über einen arabischstämmigen Drogendealer nicht strenger oder sanfter richten, als eine muslimische Richterin, die kein Kopftuch trägt oder irgendein anderer Richter.
Mein Kopftuch ist meine Bürde und nicht die meines Arbeitgebers. Meinem Arbeitgeber wird kein Arm abfallen, wenn er mich einstellt. Kunden, die einen Laden meiden, weil die abkassierende Angestellte Kopftuch trägt? Gibt es so etwas? Wenn ja sollten diese Menschen verdrängt werden und nicht die Kassiererin. Weil solche Menschen nie nur gegenüber einer Sache intolerant sind.
Ein Rettungssanitäter, der eine Frau mit Kopftuch nicht behandeln darf, obwohl sie am sterben ist, ist dermaßen absurd und sehr „Saudi-Arabien“-Sense. Genauso absurd ist es aber, wenn eine Ärztin daran gehindert wird, Menschen zu helfen, weil sie Kopftuch trägt.
Bitte schafft die Barrieren in euren Köpfen ab. Ihr macht mir das Leben in diesem Land sonst unnötig sehr schwer.
Ich bin sicher, dass auch der Extremismus hier untergeht, wenn man ihnen den Wind aus den Segeln nimmt. Es ist so leicht, die eigenen Einstellungen und Sichtweisen zu ändern, im Gegensatz dazu, die der anderen Menschen zu ändern. Aber wenn man bei sich etwas ändert, lässt das die Umwelt die unberührt.
Also: Brain Power to save the World – Barrierefreiheit ist Kopfsache!
Die Lehrerin Fereshta Ludin wollte ihr Kopftuch auch im Unterricht nicht ablegen – und bekam damals vor dem Bundesverfassungsgericht Recht. Daraufhin erließen die Bundesländer Kopftuchverbote. Kopftuch ja oder nein? Diese Frage stellen sich immer mehr junge Musliminnen in Deutschland.
Hörfunk-Interview bei SWR international