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My Private Affair with IS

Ich möchte mich offiziell bei der IS bedanken.

Die Bemühungen islamisches Leben im Westen schwerer zu machen, als ohnehin der Fall ist, sind beispiellos.

Für den ausgefallenen Namen „Islamischer Staat“ muss wohl die Marketingabteilung gelobt werden. Er klingt beinahe so gewagt, als wären die Medien höchstpersönlich Taufpate gewesen. Das stellt die kreativen Namensschöpfungen „Hulk“ oder „Batman“ absolut in den Schatten. Nein, die können einpacken!

Man sagte bisher zwar „Sex Sells“, doch scheinbar erkunden wir hier ganz neue Dimensionen der Marktforschung – „Islam sells more“. Ich sehe es groß in beleuchtetem Schriftzug vor mir strahlen. Hochachtung für all die Aufmerksamkeit, die sie mobilisieren konnten. „IS“ in aller Munde. Das muss unglaubliche Massen an Tourismus anziehen. Über die Staatsfinanzen muss man sich wohl keine Sorgen mehr machen.

Ich bin überhaupt nicht sauer auf die „IS“. Nein, im Gegenteil! Ich werde grün vor Neid!

Es ärgert mich, dass ich nicht so mutig war mich damals zu „Islam“ oder „Scharia“ umzubenennen. Ich meine das sind doch wunderschöne Namen. Man würde sein Kind wohl kaum „Justitia“ oder „Jupiter“ nennen, aber..obwohl doch! Ich glaube..Nein, ich bin sicher, ich werde mein Kind Jupiter nennen. Dann gehört der Planet Jupiter mir. Heißt ja dann auch mein Kind so, oder?

Ich wollte eigentlich nur unbedingt Islam heißen, weil ich die absolut einzige und perfekte Verkörperung des Islams darstelle. Mir wird hier nur leider schon der Kopf abgerissen, dass ich Kopftuch trage. Ich würde damit den Islam repräsentieren und das wäre eine große Verantwortung und Bürde. Man müsse sich bemühen ja nichts falsch zu machen, da das etwas heiliges sei. Ich solle Allahs Strafe fürchten. Da dachte ich, der Islam ist wohl so etwas, wie ein ziemlich stark geschützter Markenname und wer braucht schon eine Patentklage gegen Gott auf dem Schreibtisch. Mir war es dann schon eine Ehre, dass ich überhaupt Muslima sein darf.

Ob der Schöpfer der Welten, Himmel und Erde und so vielleicht doch Spaß versteht, wenn man in seinem Namen ein bisschen Mist baut und es seinen Schützlingen, die versuchen seine Botschaft auszuleben, stiefmütterlich ein Bein stellt? Vielleicht steckt unter den „IS“-Leuten ja einer mit prophetischen Fähigkeiten, der da vorab eine Art außergerichtliche Einigung klar machen konnte, um auf der sicheren Seite zu sein. Denn ich weiß auch nicht, dass wäre doch arg auf Risiko für so einen Pipifax. Was wollen die den eigentlich überhaupt?

Was auch immer sie wollen: Ich will auf jeden Fall meinen Anteil, der mir daran zusteht. Schließlich berührt das hier ganz konkret mein persönliches Leben. Welcher meiner Mitmenschen fragt sich denn schon, was ich mit der „IS“ zu tun haben könnte? Die wissen doch alle, wie super ich finde, dass endlich mal jemand den Mumm hat, ein bisschen die Welt aufzumischen und den Islam, der mir so viel bedeutet, auch so groß rauszubringen. Es gibt ja nicht so schon genug Probleme und ganz ehrlich unsere Freunde hier im Inland kann man nicht wirklich ernst nehmen. Ich frage mich, ob die „IS“ einen extra Ressort eingerichtet hat für Leute, wie mich. Organisiert genug sind sie ja und schließlich lieben sie mich bestimmt auch. Wir sind quasi so etwas wie eine riesengroße Familie. Hach ich freue mich bald in den Medien mehr darüber zu lesen, wann ich Deutschland endlich verlassen kann. Denn wirklich akzeptiert wurde ich hier nie. Der Islam gehöre ja nicht hier her. Und was bin ich? Ja, Muslima. Und zum Glück werde ich endlich auch bald wissen, was ein Zuhause ist. Ein Traum wird wahr!

Mein Kind nenne ich selbstverständlich trotzdem Jupiter. Oder Universum? Wie bald ich eingetragene Eigentümerin des Universums werden kann checke ich später beim beten ganz privat mit Allah ab. So ne kostenlose Beratung ist schon etwas ganz feines!

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Ich hoffe, dass dieser Text absolut ernst genommen wird. Denn was ich gerade am dringendsten brauche ist (*Fanfare bitte..tadadadamdada*) ein Shitstorm. Danke!

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denkbar & dankbar

klinik

Jedes Mal, wenn ich in einem Saftladen à la Notaufnahme herumliege, denke ich über den Tod nach – und über das Leben. Und es lässt mich jeden Schmerz vergessen. Den gegenwärtigen und den vergangenen. Den körperlichen und den seelischen.

Stattdessen will ich nur noch einmal alleine sein, um weinen zu können. Etwas leckeres riechen, um Appetit haben zu können. Aufstehen, um weglaufen zu können. Die Odyssee geht zwischen anderen Wänden und Gesichtern weiter, bis ich manchmal früher, manchmal später wieder raus komme und meine Wünsche wieder vergesse. Der erste Tag von meinem neuen Leben in dem ich alles anders machen wollte, ein besserer Mensch werden und jeden einzelnen Atemzug genießen wollte, bleibt somit der letzte Tag von meinem neuen Leben.

Alles nimmt seinen gewohnten Lauf ein. Die Fehler und Laster, die einen immer begleitet haben, kehren an ihre gewohnten Plätze zurück. Doch der Schmerz, der mich in den Wänden der Hilflosigkeit und Verzweiflung losgelassen hat, kehrt nie zurück. Und so machen Schicksalsschläge mich ein wenig stärker. Stark genug, um vielleicht doch etwas ändern zu können.

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R.I.P.

Irgendwann vor 8 Jahren habe ich das Gesicht meines Vaters zum letzten Mal gesehen.

Seit meine siebenjährige Schwester ein altes Fotoalbum unserer Familie gefunden hat, erzählt sie in der Nachbarschaft, dass unsere Mutter früher einen anderen Mann hatte, der jetzt tot ist. Deshalb müsse sie ihren Papa mit mir teilen.

Der neue Papa ist religiöser, reifer und verantwortungsbewusster und hat mit 30, als er noch jung und schön war entschieden, dass er sich einen Bart wachsen lassen will – selbstredend nach dem Beispiel unseres Propheten. Wahrscheinlich haben früher sowieso alle Männer Bart getragen, aber die niyah‘ (=Absicht) zählt.

Mein Vater hat fünf kleine Schwestern, die ihn immer noch „Abi“ nennen müssen. Das ist die türkische Anrede für ältere Brüder. Ich habe ihn auch sehr lange so genannt, obwohl mir immer klar war, dass er nicht mein großer Bruder ist. Aus „Abi“ wurde „Ba’bi“, aber nie „Baba“, was auf türkisch Papa heißt. Dafür ärgert er mich mit der Antwort „Ya, Shub’baki?“, wenn ich ihn rufe. Das bedeutet „Ja bitte, mein Fensterchen?“ auf arabisch. „Babun“ ist nämlich das arabische Wort für „Tür“ und „Ba’bi“ bedeutet „Meine Tür“.

Solche Zufälle passieren, wenn man jedem Menschen auf der Welt einen lächerlichen Spitznamen geben muss. Arabisch ist sowieso eine dehnbare Sprache. Da kann aus „Gott hat die Menschen geschaffen.“ wegen falscher Aussprache auch mal „Gott hat die Menschen rasiert.“ rauskommen. Vielleicht hat der Bart ihn doch nicht so viel reifer gemacht. Immerhin sieht er aus, als wäre er reifer auch wenn er ein Quatschkopfpapa ist, der sich zuerst aussperrt und dann sein Kind von einem Balkon im dritten Stock zum anderen wirft, damit es die Haustüre von Innen öffnen kann, bevor seine Frau Heim kommt und schimpft.

Richtig schimpfen tut sie aber nie. Nicht weil er ihr egal ist, sondern weil sich meine Eltern einfach wirklich lieben. Das ist so eine tiefe Liebe, die mich zweifeln lässt, ob arrangierte Ehen wirklich so schlimm sind, wenn sie zwei Menschen zusammen bringen können, die sich einfach wirklich lieben und sich niemals nie trennen werden.

Eigentlich schimpft meine Mutter nur einmal im Jahr bevor wir in die Türkei fliegen richtig. Sie glaubt, mein Opa schäme sich vor seinen Dorffreunden, dass sein Sohn einen Vollbart trägt. In der Türkei trägt man nämlich Schnurrbart. Nur Anarchisten und Transen haben dort Vollbärte und wenn man nur einen einzigen Sohn hat, will man nicht, dass er Anarchist oder Transe ist. Ansonsten ist die Türkei natürlich sehr tolerant, wenn es darum geht, nicht gesellschaftskonform zu sein.

Bekanntlich wissen sich Männer mit passenden Ausreden zu helfen. Mein Vater hat auch eine parat: Er rasiere sich ständig, aber es wachse eben wieder nach. Dabei erinnert er mich an diese Frauen, die sich die Augenbrauen zupfen und behaupten, sie würden sie nicht einmal anrühren. Das wachse einfach von alleine so. Ersteres ist immerhin noch der natürliche Zustand von Haar und letzteres ein eindeutiger Eingriff. Ich glaube nicht, dass sich unsere Urahnen Haare ausgerissen haben. Obwohl – bei Frauen weiß man nie!

Im Grunde habe ich nichts gegen Haare ausreißen, auch wenn unser Prophet Augenbrauenstyling verflucht hat. In Saudi-Arabien haben sich früher nur die Prostituierten die Augenbrauen gezupft, an denen man sie erkennen konnte, wenn man eine suchte. Ob dort auch damals schon alle Burka tragen mussten? Auch Prostituiere?

Bärte gab es sicher schon. Das wissen wir ja von meinem Papa. Es gibt auch Leute, die mit Bart beschissener aussehen, als ohne. Johnny Depp zum Beispiel oder deutsche Salafisten. Nichtsdestotrotz habe ich natürlich auch nichts dagegen Haare wachsen zu lassen. Es würde mich aber interessieren, ob meine kleine Schwester unseren Vater ohne Bart wiederkennen und akzeptieren würde. Gleichzeitig frage ich mich, ob wir ihn wiederkennen und akzeptieren würden. Er mag zwar nicht mal doppelt so alt sein, wie ich, aber er ist sicher alt geworden. Er sieht bestimmt furchtbar aus ohne Bart. Außerdem bekommt er dann Stoppel und Stoppel kratzen. Vielleicht würden sich meine Eltern dann doch trennen. Vielleicht sind arrangierte Ehen doch nicht so sicher. Ich hoffe der Bart bleibt.

Ich will nicht schon wieder einen neuen Papa!