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Das #metwo der Anderen.

Ich habe selber auf Facebook nichts zu #metwo gepostet, weil ich sowieso ständig meine Stimme erhebe und Probleme anspreche und benenne. Diesmal wollte ich lieber einmal zuhören, was meine Freunde und andere Menschen erlebt haben, in deren Haut ich nicht stecke und deren Lebensrealitäten und Geheimnisse auch ich bisher nicht kannte.

#metwo – Eine Stimme.


Ich bin stolz auf alle, die mutig genug waren, um in ihren Kellern nach den alten verstaubten Wunden zu graben. In den Bibliotheken der schmerzlichen Erinnerungen, die sie versteckt haben, um weitermachen zu können. Um nicht daran kaputt zu gehen. Es war so mutig, weil sie sich verletzbar gemacht haben. Weil sie in Kauf genommen haben, dass ihr Schmerz nicht ernst genommen wird. Dass man ihnen vorwirft in einer Opferrolle zu stecken. Sie haben in Kauf genommen, dass man sich an ihren Erfahrungen erfreut und sie als Triumphe feiert. Und sie sind auch das Risiko eingegangen, dass es überhaupt nichts bringt. Dass es umsonst war und dass sich nichts ändert.

Aber eine Sache haben wir geschafft: Wir waren eine Stimme. Egal ob Asiatin oder Afroamerikaner. Egal ob Kopftuch oder Kippa. Egal ob Diskogänger oder Fundamentalist. Egal ob Büroangestellter oder Prominenter: Wir alle waren eine Stimme und das war unglaublich stark. Das kann uns keiner nehmen.

Was uns wahrscheinlich alle verbindet ist, dass wir wahrscheinlich alle Eltern haben, die uns nicht helfen konnten. Die uns nur sagen konnten: Das wird dich stärker machen! Und dass wir wahrscheinlich alle Eltern haben, die vor unseren Augen gedemütigt wurden und denen wir nicht helfen konnten. Eltern, die beschämt waren, weil ihr Kind zusehen musste.

Ein Rabbiner wurde vor seinem Laden verprügelt. Vor den Augen seiner minderjährigen Tochter. Das las ich vor langer Zeit einmal in einer Tageszeitung. Es hatte mich geschmerzt das zu lesen. Daran zu denken, schmerzt mich heute noch. Obwohl ich den Mann gar nicht kenne, wollte ich nicht, dass eine Tochter sowas fühlen muss, das ich auch schon gefühlt habe. Und dass ein Vater so etwas fühlen muss, was mein Vater auch schon gefühlt hat. Unser Schmerz verbindet uns. Ich hoffe, unsere Kraft verbindet uns auch.

Unsere Gemeinsamkeiten sollten schönere Dinge sein: Jeder von uns hat seine ersten Rassismuserfahrungen in der Schule gemacht – mit Lehrern. Das ist diese Zeit, in der wir noch hilflose Kinder waren. Diese Zeit, die unser restliches Leben prägte. Lehrer sind diese Menschen, in deren Obhut wir gegeben werden. Diese Menschen, die uns Bildung und Menschlichkeit vermitteln sollten. Das ist dieser Ort an den wir jeden Tag gehen müssen – verpflichtend. Dieser Ort, der sicher sein sollte. Das sollte ein Staat gewährleisten können.

Mir haben einige Menschen ihre persönlichen #metwo-Erlebnisse privat mitgeteilt. Nicht, weil sie nicht mutig sind es öffentlich zu posten. Sondern weil es demütigend ist, was sie erlebt haben. So demütigend, dass es mir unters Knochenmark geht. Einige dieser Nachrichten möchte ich in Absprache mit den Betroffenen anonymisiert mit euch teilen. Es soll diejenigen zum Nachdenken bringen, die immer noch glauben, wir seien nur etwas zu empfindlich. Etwas zu dünnhäutig.

  1. Der Machtbereich der Lehrer endet bekanntlich an der Schwelle des Klassenzimmers. Einer meiner Freunde wurde ein ganzes Schuljahr aus diesem Klassenzimmer ausgeschlossen. Seine Englischlehrerin am Gymnasium wollte ihn nicht unterrichten, weil er einen Migrationshintergrund hatte und schickte ihn vor Beginn jeder Stunde nach draußen. Er durfte nicht am Unterricht teilnehmen und musste draußen warten, obwohl er ein zahmes, zwölfjähriges Kind war. Er verpasste somit ein Jahr Bildung im Unterrichtsfach Englisch. Andere Lehrer, die ihn jede Woche im Gang sitzen sahen, taten nichts gegen diese Ungerechtigkeit. Seine Eltern waren Gastarbeiter der ersten Generation und konnten kein Deutsch. Er und ein weiteres Kind mit Migrationshintergrund schafften es trotzdem ihr Abitur an dieser Schule zu machen. Heute sind dort so viele Kinder mit Migrationshintergrund an der Schule, dass keiner sie vom Unterricht ausschließen könnte.
  2. Eine deutsch-arabische Freundin wurde hochschwanger im Kreissaal von ihrem Arzt abfällig gefragt: „Sind Sie beschnitten?“. Als ihr kurz vor der Geburt kalt wurde und sie das mitteilte, sagte der Arzt: „Ja ja, bei Ihnen ist es immer so heiß. Da wird ihnen eben nun mal schnell kalt. Das halten Sie schon durch.“
  3. Eine junge Frau mit dunkler Hautfarbe kann keinen mittelständischen Laden betreten, ohne dass eine Verkäuferin ihr hinterherläuft, um zu gucken, dass sie nichts klaut. Keiner setzt sich in der Bahn neben sie, egal wie voll die Bahn ist. Alle nehmen ihre Taschen in den Schoss, wenn sie sich in die Nähe setzt. Abends wechseln Menschen die Straßenseite. Von einem Obdachlosen wurde sie als Neger beschimpft, der zum Schmarotzen hier sei.

Wenn ich mir diese Szenarien in meinem inneren Auge vorstelle, lässt mich das so hilflos zurück. Es lässt mich verzweifeln. Die Masse der Nachrichten die ich bekommen habe und die Masse der Social Media Posts, die ich gelesen habe lässt mich hilflos zurück. Ich fühle mich ohnmächtig, wenn ich lese, dass es trotzdem Menschen gibt, die daran zweifeln, dass es hier Probleme gibt. Die sich nicht vorstellen können, dass auch in Deutschland die Menschenwürde oft am seidenen Faden hängt. Dass es auch in Deutschland Menschen zweiter Klasse gibt. Dass auch in Deutschland Menschen weggucken und es nicht bemerken, wenn Unrecht geschieht.

Ich bin oft sprachlos, wenn ich gefragt werde, ob ich denn überhaupt diskriminiert werde und wenn diese Leute mir dann nicht glauben wollen oder meine Erzählungen für eine Übertreibung halten. Ich bin oft sprachlos, wenn mir vorgeworfen wird, ich wäre zu empfindlich und würde mich schnell angegriffen fühlen. Ich bin oft sprachlos, wenn mir vorgeworfen wird, ich würde Deutschland nicht lieben, nur weil ich etwas ausspreche, was sich nicht schön anhört.

Ich finde es doch toll hier und es gibt auch so viele tolle Menschen und positive GeschichtenAber das eine wiegt das andere nicht auf. Dass beides gleichzeitig und nebeneinander existiert – das tolle und das grausame Deutschland – ohne dass diese beiden Welten sich berühren: das ist es, was mich traurig macht. Das tolle Deutschland soll in das grausame Deutschland einbrechen und es in sich zusammenfallen lassen. Es soll nur ein Deutschland geben. Das wünsche ich mir. Dafür stehe ich ein.