Ich war heute für euch im Kino und habe den Film „Mustang“ angeschaut, der ab Februar in Deutschland ins Kino kommt. Letztes Jahr wurde er als fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert.
Es geht um fünf Schwestern, die in einem provinziellen Dorf an irgendeinem Strand in der Türkei leben. Eigentlich ist es egal, welches Dorf es ist und es ist auch egal, dass es in der Türkei ist. Das war es, was mich an dem Film am meisten überrascht hat. Ich hatte irgendetwas „cultureclash“-mäßiges erwartet, das im weitesten Sinn mit dem Islam zu tun hat. Aber tatsächlich hätte der Film auch in Portugal oder in Italien oder in Griechenland spielen können. Wenn man das Aussehen der Mädchen und die Landschaft verändern würde sogar in China oder Afrika oder einem abgelegenen Dorf in den USA.
Es geht um diese Mädchen, um Gesellschaft, um Grenzen, um die Angst etwas falsch zu machen und darum das alles zu überwinden. Oder eben nicht zu überwinden. Und überhaupt nicht um Islam oder etwas, das mit dem Islam zu tun hat, wie ein Imam oder eine Moschee oder ein Kopftuch. Aber das störte nicht, denn in diesem Film ging es eben um 5 Mädchen, jede anders als die andere und jede mit ihrem eigenen, ganz besonderen Bezug zu Männern, zu Keuschheit und zum Frau werden – ganz, ganz weit weg von Flüchtlingskrise, Euro-Krise und Pegida.
Ich bin mir nicht sicher, ob jemand, der liberal und frei aufgewachsen ist diesen Film überhaupt verstehen kann. Die Regiseurin hat die Geschichte inspiriert aus ihrem eigenen Leben geschrieben. Und für mich als Zuschauerin hat es sich so angefühlt, als würde ich mit diesen Mädchen in diesem Haus, in diesem Wohnzimmer sitzen und als könnte das in meinem Dorf oder meiner Familie eben so passieren.
Es ist ein sehr kleines Dorf in dem viel geredet wird. Und die Mädchen sind jung und wie junge Mädchen eben sind, testen sie ihre Grenzen aus und versuchen sie zu sprengen. Je höher die Mauern werden, desto stärker wird der Rebell.
An manchen Momenten wollte ich ihnen eine Ohrfeige geben und sagen „Mädels, warum macht ihr das? Spinnt ihr? Versucht doch irgendwie mit eurer Situation klar zu kommen oder eine Lösung zu finden, statt euch kaputt zu machen!“ – z.B. als eins der (minderjährigen) Mädchen (ungeschützten) Geschlechtsverkehr mit einem (fremden) (erwachsenen) Mann hat. In einem Auto! Am helligsten Tag! In der Zeit während ihr Onkel kurz zur Bank geht, um Geld zu holen!
An anderen Momenten wollte ich sie einfach in den Arm nehmen und ihnen sagen, dass es schrecklich ungerecht ist nicht frei sein zu können und dass es besser werden wird, dass ich ihnen helfen werde. Beispielsweise, als die Großmutter, die mit dem Onkel auf sie aufpasst (die Eltern sind seit 10 Jahren tot) sie versucht zu verheiraten, weil sie nicht mehr mit ihnen zurecht kommt. Aber ich hätte ihnen nicht helfen können. Und es würde nicht besser werden.
Es ist ein Film mit vielen lustigen Momenten, mit vielen traurigen Momenten und mit wenig Hoffnung auf ein Happy End.
Das jüngste der Mädchen, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, soll wohl der namensgeber für den Film sein – Mustang. Sie ist mutig und sie ist stark. Sie weiß, was sie will und sie kämpft, um es zu kriegen.
Die anderen Mädchen sind sehr pubertär, verrückt, durchgeknallt und hilflos. Fast genauso hilflos, wie die Oma, die sie in den Wahnsinn treiben. Und der Onkel? Auch der kann einem eigentlich nur Leid tun. Es ist schade, dass man nicht mehr über seine Sicht der Dinge erfährt. Es ist ein Mann, den man nur als wütenden, bösen Spielverderber und Tyrann kennen lernt – leider! Denn ich glaube, dass er eine ganz andere, eigene Geschichte zu erzählen hätte.
Ich gehöre wirklich nicht zu den Menschen, die automatisch Partei für Männer in Autoritätspositionen ergreifen würden. Aber es hat mich allgemein wirklich sehr an dem Film gestört, dass alles einfach nur so einseitig hingestellt wird. Eingesperrte Mädchen mit besigeltem Schicksal. So ein Film ist ziemlich schwer zu verdauen und zu verstehen ohne irgendeine Erklärung. Näher auf die Situation der Oma und des Onkels einzugehen hätte Licht ins Dunkle bringen können.
Mich hat der Film im großen und ganzen aber ziemlich berührt. Vor allem weil ich viele Sprüche und Sätze schon in meinem eigenen Leben gehört habe, viele Kissenbezüge und Möbel mir vertraut vorkamen und ich mich in die Mädchen hineinfühlen kann, weil auch ich mit den ein oder anderen Grenzen groß geworden bin, aber die ein oder andere Grenze vielleicht auch gebraucht habe, um daran zu wachsen und auch um meinen Platz zu finden.
Zum entspannen empfehle ich ihn nicht, aber falls ihr einen Film anschauen wollt, der ohne extra Drama und viel Schnickschnack immer wieder tief Innen berührt, dann schaut ihn an.
Ich selbst habe ihn auf türkisch gesehen und fand die deutschen Untertitel von der Übersetzung ziemlich bedeutungsverzerrend, aber die deutsche Synchro im Trailer hört sich ganz gut an. Vielleicht wurde die nochmal bearbeitet. Jedenfalls hoffe ich, dass die Leute, die ihn anschauen sich bewusst darüber sind, dass es Mitten in Anatolien an einem Ort spielt, wo Traditionen noch sehr wichtig sind und die Angst vor Ausgrenzung sehr groß, wenn nicht der Untergang der ganzen Familie.
Also nicht zu vergleichen mit der Situation mit türkischstämmigen Familien in Deutschland! Wäre eher dumm, wenn Leute denken, man kann das eins zu eins auf Deutschland übertragen und in türkischen Familien müssen alle Mädchen mit 15 heiraten.
Wenn euch der Trailer hier gefällt, dann schreibt mir eine Mail und ihr könnt an meinem Gewinnspiel teilnehmen und Kinofreikarten gewinnen!
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