„Wenn ich erfolglos eine WG suche und mir dann geraten wird, in Emails einen deutschen Namen statt den eigenen anzugeben. #schauhin“ – @baum_glueck
Vor drei Jahren startete auf Twitter die Aktion #schauhin. Tausende User teilten unter dem Hashtag ihre alltäglichen Erfahrungen mit Rassismus und erreichten damit die Trending Topics in Deutschland. Daraufhin wurde das Thema Alltagsrassismus von zahlreichen Medien aufgegriffen.
Viele Menschen mit Diskriminierungserfahrungen hatten plötzlich das Gefühl, nicht mehr allein zu sein und ohne Angst vor Diffamierung über Missstände sprechen zu können. Doch schon bald wurde der Zustand wieder kleingeredet:
„Es ist doch schon einiges besser geworden.“
„Die könnten doch auch mal froh sein damit, wie es ist.“
„Alles dreht sich nur um die!“
Diskriminierung läuft immer gleich ab
Diese Aussagen habe ich einem Diagramm zur Gleichstellung der Frau entnommen. Man könnte sie unverändert auf jede andere Diskriminierungsform übertragen. Das sieht man auch an der derzeitigen Situation der Aktion. #schauhin erging es ebenso wie dem Hashtag #Aufschrei gegen Alltagssexismus, der schon bald von anderen Usern zweckentfremdet und gekapert wurde. Der Sinn solcher Aktionen, Diskriminierung sichtbar zu machen, scheitert langfristig immer wieder.
Es gibt aber noch viel, das man offline tun kann und es gibt auch gute Gründe dafür, sich nicht einfach zurückzulehnen: Wir sind eine pluralistische Gesellschaft mit einer bewegten Vergangenheit, einer breiten Vielfalt der Kulturen, der Religionen, der Lebensentwürfe, vermischten Lebensweisen und einer soliden Basis durch das Grundgesetz. So haben wir dieses Land geerbt und wir sollten Sorge dafür tragen, dass es noch lange so lebenswert bleibt, wie es derzeit noch ist.
Was ist Rassismus eigentlich genau?
In einer rassistischen Welt ist der Unterschied etwas Schlechtes. Es ist nicht die weiße Hautfarbe, die den Schwarzen vom Weißen unterscheidet. Es ist die schwarze Hautfarbe, die den Schwarzen so verhängnisvoll zu etwas anderem als einem Weißen macht.
Der Unterschied ist endgültig. Der Jude war schon immer habgierig, der Schwarze unterlegen und Muslime sind barbarisch. Daraus folgt, dass sie immer so bleiben werden, ohne Hoffnung auf Änderung. Und jedes Individuum dieser Gruppe, das das Gegenteil verkörpert, versteckt diese Eigenschaften nur gut genug oder ist eine Ausnahme. Es ist auch egal, ob diese Ausnahmen die absolute Mehrheit darstellen. Sie sind Ausnahmen!
Jeder wirkliche oder erfundene Mangel eines Individuums wird auf die ganze ihm verwandte Gruppe ausgedehnt und der Betroffene wird aufgrund des kollektiven Merkmals verurteilt.
Der „nordafrikanisch aussehende“ Grabscher kann gar nicht anders. Seine dunklere Hautfarbe zeigt seinen Mangel an Respekt gegenüber Frauen: „Meine Tochter soll keinen dunkelhäutigen Mann haben. Der wird sie sowieso nur schänden.“
Islam ist doch gar keine Rasse…
Islamfeindlichkeit ist eine spezielle und wachsende Diskriminierungsform in Deutschland und drückt sich in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen aus: Im Bildungssystem, beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder bei der Wohnungssuche. Brandanschläge auf islamische Gemeinden, Hate Speech in digitalen Netzwerken und verbale sowie physische Attacken auf muslimische Menschen häufen sich.
Ein Amokläufer in München wird wegen einem muslimisch klingenden Zweitnamen mit dem Islam assoziiert und ein in Deutschland lebendes muslimisches Kollektiv muss den Kopf hinhalten für das Chaos und die Gewalt, die er als Einzelperson anrichtet. Auch wenn weder die Tat noch der Täter in Wahrheit wirklich etwas mit Muslimen in Deutschland zu tun haben.
Die aktuellen Debatten um den Islam und die Integrationsfähigkeit von Muslimen sind oft von Emotionen und Intoleranz geprägt. In der öffentlichen Diskussion wird ein antiislamischer Rassismus jedoch oft in den Deckmantel der Islamkritik verpackt. Dabei wird eher Volksverhetzung betrieben, statt sachlich Missstände zu analysieren.
„Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.“ Theodor Adorno (1903-1969)
Es ist gleichgültig, ob eine rassistische Anklage sich auf einen biologischen oder kulturellen Unterschied bezieht. Bei ethnischem Rassismus geht es auch nicht wirklich um die Ausgrenzung einer biologischen Rasse, sondern um eine konstruierte Abgrenzung und daraus folgende Abwertung eines Kollektivs. Es gibt nämlich überhaupt gar keine menschlichen Rassen. Und solange man als „anders“ identifizierbar bleibt, weil die Religionszugehörigkeit sichtbar ist, bewahrt einen auch gute Integration nicht vor Ausgrenzung.
Und was kann man tun?
Der sogenannte „islamistisch motivierte“ Terror bietet derzeit den perfekten Nährboden für rechten Populismus und vermutlich wird die AfD demnächst mit menschenfeindlichen Parolen in den Bundestag einziehen. Demokratie ist keine Garantie für Gerechtigkeit und Rassismus gibt es in jedem Gesellschaftssystem. In vielen privaten Kreisen sowieso, aber auch im öffentlich-politischen Diskurs, auf institutioneller Ebene und sogar teilweise in den Medien wird Rassismus immer offener und expliziter.
Nicht nur Diskriminierungsopfer sollten sich von diesem Problem betroffen fühlen. Jeder Mensch in Deutschland hat eine Rolle in rassistischen Strukturen, die sich nicht auf Täter und Opfer beschränkt. Jeder muss sich fragen, welche Rolle er hat. Bin ich ein stummer Zuschauer oder ein blinder Unterstützer? Diskriminierung fängt auch nicht damit an, dass jemand auf einem Bahnhof verprügelt wird, weil er anders aussieht. Es fängt schon mit einfachen Gedanken an: „Meine Ärztin hat ja einen russischen Akzent. Ich geh nächstes Mal zur Sicherheit zu einem anderen Arzt.“
Unser Staatssystem funktioniert nur mit selbstständigen und mündigen Bürgern, die ihr Land mitgestalten und den medialen und politischen Mainstream aufmischen. Wir müssen Themen in den Vordergrund rücken, die wirklich wichtig sind, bevor sich die Gesellschaft durch Diskussionen über ein Erdogan-Schmähgedicht oder Burkinis immer weiter spaltet.
„Bei egal welcher Kritik, die Menschen mit Migrationshintergrund äußern: ‚Geh doch nach Hause wenn es dir hier nicht passt!‘ #schauhin“ – @LilithMuc
Guten Start ins Wochenende!
Mervy Kay
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