Kopftuchstreit

Betül Ulusoy – aus Berlin – Juristin und Referentin für Islam & Frauen, Recht & Interreligiösen Dialog, spricht – in Tübingen – über Wirkung, Akzeptanz und rechtliche Regelung des islamischen Kopftuchs.

 

Donnerstag, 2. Juli 2015
Neue Aula, Hörsaal 10
18 Uhr c.t.

 

Die Veranstaltung richtet sich an FreundInnen, StudentInnen und MitarbeiterInnen der Juristischen Fakultät.

Im Anschluss an den Vortrag besteht im Rahmen einer offenen Diskussionsrunde Möglichkeit für Fragen und Ideenaustausch.

Artikel

Barrierefreiheit

Warum ist das Kopftuch in Deutschland so ein großes Problem?

Das AGG soll unter anderem in der Berufswelt die Gleichberechtigung sichern. Man darf einen Bewerber nicht aufgrund seiner religiös motivierten Kopfbedeckung ablehnen. Warum werden Frauen die Kopftuch tragen trotzdem systematisch abgelehnt? Woher kommt diese Scheu? Es ist nur ein Stück Stoff!

Der Staat hat in jedem Land eine Repräsentations- und Vorbildfunktion. Man darf den Staat aber nicht repräsentieren, wenn man Hijabträgerin ist. Man darf keine Lehrerin, keine Richterin, keine Staatsanwältin und keine Polizistin werden.

Man sei dann eben in einer bestimmten Funktion, die es erfordert, den Hijab abzulegen. Als Ärztin muss man das Kopftuch auch ablegen. Es gibt klare Vorschriften für die Arbeitskleidung. In die Bundeswehr kann man nicht mit Kopftuch. Es gibt keine Politiker mit Kopftuch.

Warum sollte also ein Unternehmen, das sogar auf die Nagellänge der Angestellten achtet, jemanden einstellen, der Kopftuch trägt? Warum sollte eine Kleinkanzlei das auf sich nehmen?

Habe ich eine Behinderung? Nein. Bin ich behindert? Ja.

Beruflich bin ich so eingeschränkt,  wie jemand, der querschnittsgelähmt ist. Warum? Wegen der deutschen Bürokratie, wegen der man durch ein Stück Stoff so eingezäunt wird, wie in kaum einem anderen freiheitlich-demokratischen Land.

Warum ich nicht kompromissbereit bin und einfach mein Kopftuch ablege? Warum soll ich das machen? Hindert es mich daran meine Arbeit gut zu machen? Bin ich, wenn ich es geschafft habe Richterin zu werden, nicht in der Lage, so selbstreflektiert zu urteilen, meine Religion und meinen Beruf auseinander zu halten? Wie wird sicher gestellt, dass ein Richter dem man seine Ansichten nicht ansieht, selbstreflektiert handelt?

Dürfen Frauen, die Kopftuch tragen auch nicht Vorsitzende vom Elternbeirat werden, weil sie mit einem Kopftuch nicht in der Lage sind Eltern zu repräsentieren, die kein Kopftuch tragen? Und Eltern mit Tattoos können das sowieso auch nicht. Und Eltern mit einem Kugelbauch auch nicht. Man darf nicht anders sein, um dazu zu gehören, ein Teil sein zu können.

Und ich integriere mich nicht?

Der Staat muss Muslime stärker einbinden. Zu Freunden machen, statt zu Feinden, damit auch seine Bürger Vertrauen aufbauen können. Eine Frau mit Kopftuch wird über einen arabischstämmigen Drogendealer nicht strenger oder sanfter richten, als eine muslimische Richterin, die kein Kopftuch trägt oder irgendein anderer Richter.

Mein Kopftuch ist meine Bürde und nicht die meines Arbeitgebers. Meinem Arbeitgeber wird kein Arm abfallen, wenn er mich einstellt. Kunden, die einen Laden meiden, weil die abkassierende Angestellte Kopftuch trägt? Gibt es so etwas? Wenn ja sollten diese Menschen verdrängt werden und nicht die Kassiererin. Weil solche Menschen nie nur gegenüber einer Sache intolerant sind.

Ein Rettungssanitäter, der eine Frau mit Kopftuch nicht behandeln darf, obwohl sie am sterben ist, ist dermaßen absurd und sehr „Saudi-Arabien“-Sense. Genauso absurd ist es aber, wenn eine Ärztin daran gehindert wird, Menschen zu helfen, weil sie Kopftuch trägt.

Bitte schafft die Barrieren in euren Köpfen ab. Ihr macht mir das Leben in diesem Land sonst unnötig sehr schwer.

Ich bin sicher, dass auch der Extremismus hier untergeht, wenn man ihnen den Wind aus den Segeln nimmt. Es ist so leicht, die eigenen Einstellungen und Sichtweisen zu ändern, im Gegensatz dazu, die der anderen Menschen zu ändern. Aber wenn man bei sich etwas ändert, lässt das die Umwelt die unberührt.

Also: Brain Power to save the World – Barrierefreiheit ist Kopfsache!

Artikel

W U R S T B R O T

Jeder möchte meine Meinung zu Conchita Wurst hören, aber ich bin leider immer noch mundtot: pathologisch temporärer Stimmverlust!

Selbstredend hat der Bundesdurchschnittsbürger für solche Situationen einen Webblog und somit stellt sich erneut die Frage: Was gibt es zu Frau Wurst zu sagen?

Vieles, eigentlich zu viel, wurde bereits gesagt. Warum wird aus manchen Dingen so eine große Sache gemacht, wobei andere völlig vergessen werden? Nichts wird doch so heiß gegessen, wie es gekocht wird und würde mir Frau Wurst auf der Straße begegnen, wäre sie auch nur eine unter vielen Menschen und bald hat man sie auch vergessen. Ich bin mir sicher!

Es gibt die liebe Conchita nämlich nicht erst seit dem Eurovision Song Contest. Ich kann nicht einmal sagen, ob mir ihr Bart aufgefallen wäre, vor einem Monat. Generell achte ich bei Menschen nicht auf ihr Äußeres, es sei denn ich hasse sie oder ich liebe sie. Beides ist bei unserer Phönix-Prinzessin nicht der Fall. Sie ist mir egal. Und genau das möchte sie doch: Egal sein! Hätte sie sich sonst Wurst genannt? Welcher Mensch nennt sich denn so?

Kennt ihr es, wenn ihr euch mit jemandem im Bus unterhaltet und später wisst ihr nicht mehr, ob diese Person eine Brille trug oder nicht, obwohl ihr der Person beim Sprechen ganz offensichtlich ins Gesicht geschaut habt? So sollte es mit Damenbärten und Kopftüchern auch sein!

Es ist mir bisher einmal passiert, dass jemand nicht wahrgenommen hat, dass ich Kopftuch trage. Später bei der zweiten Begegnung war sie peinlich berührt und meinte, sie könnte es für Dekoration gehalten und nicht weiter beachtet haben. Ich war glücklich. Scheinbar bin ich ganz normal und gar nicht so anders, sonst hätte es sie gestört, dass ich Kopftuch trage. Die meisten Menschen lieben Kopftücher bekanntlich nämlich nicht besonders. Die @marthaimthale sagt aber aktuell, Kopftuch sei lässig. Schön das zu hören, denn das gehört eindeutig in den egal-Wortschatz: Yuhu, Kopftücher werden immer egaler!

Jeder Mensch ist irgendwie anders, aber meistens ist das egal. Frau Wurst scheint noch überhaupt nicht egal-anders zu sein, denn entweder man liebt sie, oder man hasst sie, so scheint es mir. Sonst hätte sie nicht gewonnen, denn so toll kann sie nicht singen und besonders hübsch ist sie auch nicht, obwohl ihr Körper schon etwas her macht. Zu ihren Hassern sagt sie:

„Wie würde es euch gehen, wenn eure Freunde, Verwandten, Kinder, Kollegen usw. auf diese Weise beschimpft werden? Ich bin mir sicher, dass es in eurer näheren Umgebung ebenfalls Menschen gibt, die ‚anders‘ sind. In diesem Sinne kämpfe ich weiterhin GEGEN Diskriminierung und FÜR Toleranz. Denn ich bin davon überzeugt, dass im 21. Jahrhundert wirklich JEDER Mensch das Recht hat, so zu leben, wie er möchte.“

Warum sagt sie nichts zu den Liebern? Ich würde es an ihrer Stelle dumm finden, auf eine einzige Eigenschaft reduziert zu werden, aber vielleicht sind Travestiekünstler noch nicht so weit und sind einfach froh, erstmal auch geliebt werden zu können. Gönnt’s euch, so lange es euch nicht nervt, meine Herrendamen!

Das Genderproblem wäre damit also auch gelöst. Für mich jedenfalls. Gut, ich hatte auch noch nie ein Genderproblem. Ich fühle mich einfach immer mit angesprochen, selbst wenn da explizit NUR für HERREN steht. So kommt es, dass ich mich immer wieder in Herrentoiletten wieder finde. Das ist mein täglicher Adrenalinschub und viel gesundheitsfreundlicher als Koffein!

Das einzige das mir Probleme macht ist das: Warum musste sie das tun? Wollte sie es wirklich oder musste sie? Frauen dürfen sich so geben, wie Männer ohne Männer werden zu müssen, aber wenn sich Männer so geben wollen, wie Frauen, werden sie geächtet. Hat das etwas damit zu tun, dass Femininität allgemein devoter ist, als das typisch maskuline Dominanz?

Um ehrlich zu sein habe eich keine Ahnung. Witzig fand ich nur die Aussage meiner Mutter: „Merve, ich weiß nicht, was wir mit dir machen sollen. Du bist genau so, wie diese Frau, die so aussieht, wie Tarkan (Sie meint Conchita). Entscheide dich doch, was du willst und steh dazu!“

Das war absolut nicht auf mein Geschlecht bezogen, sondern auf meinen Glauben. Ich bin Muslima, das steht fest. So richtig definieren, wie das dann am Ende aussehen soll, kann ich tatsächlich nicht richtig. Vielleicht kann ich ja auch so ein Mittelding a la ist doch „Wurst“ starten: Statt Frau mit Bart, einfach Kopftuch mit Piercings. Sieht das komisch aus?

Ich finde es berechtigt, dass sich da viele Menschen ihrer Identität beraubt fühlen, dass Österreich oder je nach dem der Islam nicht so repräsentiert werden möchte. Aber wer entscheidet das? Konnte sich Österreich aussuchen, von Krieg und Blut repräsentiert zu werden? Konnte sich der Islam aussuchen, von Terroristen und Gewalt repräsentiert zu werden? Ich wünsche mir für unsere Kinder, die das alles noch nicht verstehen können, bessere Vorbilder, als mich oder Frau Wurst. Menschen, die wissen, was sie wollen und zu dem stehen. Also bitte, ich lasse euch gerne den Vortritt. Die erste Reihe steht noch frei! Na?

Ich kann nur sagen, dass kein Belag ohne ein gutes Brot, das ist, was es ist, denn das Brot ist nun mal das Beste an einem Wurstbrot!

Mervy Kay