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W U R S T B R O T

Jeder möchte meine Meinung zu Conchita Wurst hören, aber ich bin leider immer noch mundtot: pathologisch temporärer Stimmverlust!

Selbstredend hat der Bundesdurchschnittsbürger für solche Situationen einen Webblog und somit stellt sich erneut die Frage: Was gibt es zu Frau Wurst zu sagen?

Vieles, eigentlich zu viel, wurde bereits gesagt. Warum wird aus manchen Dingen so eine große Sache gemacht, wobei andere völlig vergessen werden? Nichts wird doch so heiß gegessen, wie es gekocht wird und würde mir Frau Wurst auf der Straße begegnen, wäre sie auch nur eine unter vielen Menschen und bald hat man sie auch vergessen. Ich bin mir sicher!

Es gibt die liebe Conchita nämlich nicht erst seit dem Eurovision Song Contest. Ich kann nicht einmal sagen, ob mir ihr Bart aufgefallen wäre, vor einem Monat. Generell achte ich bei Menschen nicht auf ihr Äußeres, es sei denn ich hasse sie oder ich liebe sie. Beides ist bei unserer Phönix-Prinzessin nicht der Fall. Sie ist mir egal. Und genau das möchte sie doch: Egal sein! Hätte sie sich sonst Wurst genannt? Welcher Mensch nennt sich denn so?

Kennt ihr es, wenn ihr euch mit jemandem im Bus unterhaltet und später wisst ihr nicht mehr, ob diese Person eine Brille trug oder nicht, obwohl ihr der Person beim Sprechen ganz offensichtlich ins Gesicht geschaut habt? So sollte es mit Damenbärten und Kopftüchern auch sein!

Es ist mir bisher einmal passiert, dass jemand nicht wahrgenommen hat, dass ich Kopftuch trage. Später bei der zweiten Begegnung war sie peinlich berührt und meinte, sie könnte es für Dekoration gehalten und nicht weiter beachtet haben. Ich war glücklich. Scheinbar bin ich ganz normal und gar nicht so anders, sonst hätte es sie gestört, dass ich Kopftuch trage. Die meisten Menschen lieben Kopftücher bekanntlich nämlich nicht besonders. Die @marthaimthale sagt aber aktuell, Kopftuch sei lässig. Schön das zu hören, denn das gehört eindeutig in den egal-Wortschatz: Yuhu, Kopftücher werden immer egaler!

Jeder Mensch ist irgendwie anders, aber meistens ist das egal. Frau Wurst scheint noch überhaupt nicht egal-anders zu sein, denn entweder man liebt sie, oder man hasst sie, so scheint es mir. Sonst hätte sie nicht gewonnen, denn so toll kann sie nicht singen und besonders hübsch ist sie auch nicht, obwohl ihr Körper schon etwas her macht. Zu ihren Hassern sagt sie:

„Wie würde es euch gehen, wenn eure Freunde, Verwandten, Kinder, Kollegen usw. auf diese Weise beschimpft werden? Ich bin mir sicher, dass es in eurer näheren Umgebung ebenfalls Menschen gibt, die ‚anders‘ sind. In diesem Sinne kämpfe ich weiterhin GEGEN Diskriminierung und FÜR Toleranz. Denn ich bin davon überzeugt, dass im 21. Jahrhundert wirklich JEDER Mensch das Recht hat, so zu leben, wie er möchte.“

Warum sagt sie nichts zu den Liebern? Ich würde es an ihrer Stelle dumm finden, auf eine einzige Eigenschaft reduziert zu werden, aber vielleicht sind Travestiekünstler noch nicht so weit und sind einfach froh, erstmal auch geliebt werden zu können. Gönnt’s euch, so lange es euch nicht nervt, meine Herrendamen!

Das Genderproblem wäre damit also auch gelöst. Für mich jedenfalls. Gut, ich hatte auch noch nie ein Genderproblem. Ich fühle mich einfach immer mit angesprochen, selbst wenn da explizit NUR für HERREN steht. So kommt es, dass ich mich immer wieder in Herrentoiletten wieder finde. Das ist mein täglicher Adrenalinschub und viel gesundheitsfreundlicher als Koffein!

Das einzige das mir Probleme macht ist das: Warum musste sie das tun? Wollte sie es wirklich oder musste sie? Frauen dürfen sich so geben, wie Männer ohne Männer werden zu müssen, aber wenn sich Männer so geben wollen, wie Frauen, werden sie geächtet. Hat das etwas damit zu tun, dass Femininität allgemein devoter ist, als das typisch maskuline Dominanz?

Um ehrlich zu sein habe eich keine Ahnung. Witzig fand ich nur die Aussage meiner Mutter: „Merve, ich weiß nicht, was wir mit dir machen sollen. Du bist genau so, wie diese Frau, die so aussieht, wie Tarkan (Sie meint Conchita). Entscheide dich doch, was du willst und steh dazu!“

Das war absolut nicht auf mein Geschlecht bezogen, sondern auf meinen Glauben. Ich bin Muslima, das steht fest. So richtig definieren, wie das dann am Ende aussehen soll, kann ich tatsächlich nicht richtig. Vielleicht kann ich ja auch so ein Mittelding a la ist doch „Wurst“ starten: Statt Frau mit Bart, einfach Kopftuch mit Piercings. Sieht das komisch aus?

Ich finde es berechtigt, dass sich da viele Menschen ihrer Identität beraubt fühlen, dass Österreich oder je nach dem der Islam nicht so repräsentiert werden möchte. Aber wer entscheidet das? Konnte sich Österreich aussuchen, von Krieg und Blut repräsentiert zu werden? Konnte sich der Islam aussuchen, von Terroristen und Gewalt repräsentiert zu werden? Ich wünsche mir für unsere Kinder, die das alles noch nicht verstehen können, bessere Vorbilder, als mich oder Frau Wurst. Menschen, die wissen, was sie wollen und zu dem stehen. Also bitte, ich lasse euch gerne den Vortritt. Die erste Reihe steht noch frei! Na?

Ich kann nur sagen, dass kein Belag ohne ein gutes Brot, das ist, was es ist, denn das Brot ist nun mal das Beste an einem Wurstbrot!

Mervy Kay

 

„Ich bin ein Berliner“ ist ein berühmtes Zitat aus der Rede John F. Kennedys am 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg in West-Berlin.

Ich bin eine Landmaus aus dem Süden – schon immer gewesen. Aber bin ich auch eine Berlinerin?

Die Klassenfahrt nach Berlin habe ich damals verpasst.
Freunde, die mittlerweile in Berlin studieren, zu besuchen, kam mir nie in den Sinn.
Die Zahnräderkonferenz in Berlin habe ich verpasst.
Zur Republica konnte ich nicht nach Berlin.

Doch alle Wege führen scheinbar nach Berlin, denn jetzt war ich tatsächlich da! Die Umstände und Begebenheiten dahin gestellt: Ich bin ein wenig verliebt in dieses Monster.

20140516-141728.jpgEs ist mit Sicherheit eine Hassliebe, denn so etwas großes und lautes bin ich einfach nicht gewöhnt.

Doch Berlin ist eine echte Großstadt, die alles hat und alles nimmt: Kunst, Kultur, Geschichte, Moderne, Streit, Versöhnung, Fremdes, Neues und Altes, Natur, Religion, echte Ampelmännchen, Essen, Essen, leckeres Essen, vor allem sehr günstiges Essen, viel, viel Essen, Essen, das wirklich lecker ist..ich habe mich keine Sekunde fremd oder unwillkommen gefühlt (auch wenn IMMER verloren).

Tschüss du große, alte Dame mitten im Herzen..ähm..nicht Deutschlands, aber der Deutschen? Auf Wiedersehen!

Mervy Kay

PS: Danke, dass Du mir geholfen hast, dort nicht zu sterben, auch wenn Du mich eindeutig manchmal eigenhändig töten wolltest, lieber Reiseführer!