Leben bedeutet, nicht an den Tod zu glauben, selbst wenn man ihn fürchtet.“
– Mervy Kay
Vögelgezwitscher
Wie ich aus sicheren Quellen erfahren habe, wurden auf der Internetplattform Twitter Wetten abgeschlossen, was mit mir passiert sein könnte.
Hoch im Kurs sei die Spekulation, ich sei in unehelich geschwängertem Zustand von meinen Eltern in den Yemen verkauft worden. Konkurrierend mit der Theorie, ich könnte zur Jihadistin radikalisiert in den Irak ausgewandert sein. Gefolgt von der Annahme ich würde wegen meiner liberalen Ansichten von anderen Muslimen verfolgt werden.
Letzteres verletzt mich etwas. Ich liberal. Tse. Erstere Vermutungen schmeicheln mir andererseits. Wobei ich mich frage, warum noch keiner auf die Idee kam, dass ich arrangiert worden sein könnte oder einfach tot bin.
Gerüchte sind die Rauchfahnen der Wahrheit, sagt man. Nur muss ich euch enttäuschen. Ich bin kerngesund und kann mich frei bewegen. Aber warum verschwindet eine nach Bundeszentralamtsdefinition (Wer mehr als 16 Tweets in der Woche schreibt, gilt als gefährdet) twittersüchtige Ische von einem Tag auf den anderen?
Einigen dürfte meine Abwesenheit unbemerkt geblieben sein, andere scheinen sich große Sorgen gemacht zu haben. Ich hätte das nie erwartet und es tut mir wirklich aufrichtig Leid. Ich kann euch weder befriedigend aufklären, noch will ich zurück. Das Angebot, ich könne mich bei quitter.com (die Internetseite gibt es wirklich) neu einrichten, muss ich auch ablehnen.
Mein Abgang war natürlich nicht grundlos. Relevant für euch ist aber nur, dass ich fast immer, wenn mein Auto kaputt geht, etwas witziges in meinem Leben passiert oder wenn ich Zwischendurch mal Zeit habe, ob an der Bushaltestelle, beim Lernen oder im Wartezimmer, an meine TL denke. Ich danke euch für all die Anerkennung, gute Laune, Komplimente, Unterstützung und Anteilnahme – all die Jahre!
Anfangs hatte ich gar keine Gelegenheit eure Abwesenheit zu bemerken, weil mein Kopf mit etwas anderem gefüllt war. Bis ich später an den zurückgegangenen Leserzahlen das Fehlen meiner Twitterpräsenz feststellen konnte. Ich frage mich manchmal, was all meine unbekannten Freunde mit dem @ vor ihrem Namen so treiben. Ab Tausend Sternchenspendendern schafft man sie nicht mehr alle zusammen und die Gelegenheit jeden von meinen Followerperlen persönlich kennen zu lernen hatte ich auch nie. Aber Twitterer trinken Kaffee und bei uns Zuhause gibt es für jeden Gast Gourmetkaffee, ich wohne immer noch in Tübingen, habe ein Plüscheinhorn und Katzenbilder.
Ich werde immer eure Primamuslima sein. Ihr könnt jederzeit in meinen Blog reinschauen, meine Facebookfreunde werden oder mir eine Mail schreiben. Ein Platz in meinem Herzen ist euch sicher, hört bitte nur auf den Herr Adler wegen mir zu belästigen. Nichts für ungut, aber mit jemandem, der keine Schokolade mag, kann man auch nicht lange befreundet sein.
Ich möchte übrigens an den Wetterlösen beteiligt werden und entschuldige mich bei allen Nichttwitterlesern für diesen etwas speziellen Zwitscherbeitrag, der ganz dringend fällig war. Haltet die Ohren steif!
Eure
Mervy Kay
True Love
Ich liebe es, dass unsere Nachbarn immer noch denken, ich sei die zweite Ehefrau meines Vaters, die an Wochenenden kommt, um ihr Revier zu markieren und dass meine Familie mich bei Gesellschaftsspielen nicht mitspielen lassen will. Ich liebe meine Mutter, weil sie mir per iMessage Fotos von leckerem Essen schickt, wenn ich am Wochenende nicht nach Hause komme und meine Oma, weil sie mich jede Woche per FaceTime aus der Türkei anruft, obwohl meine Mutter sagt, ich sei eine langweilige Telefoniererin. Was ich am größten liebe ist, dass ich keine Angst habe Scheiße zu bauen, weil ich weiß, dass meine Eltern mich nicht länger als zwei Tage im Keller einsperren können, ohne Mitleid mit mir zu bekommen und mich in den Arm zu nehmen.
People Always Leave
Wir werden geboren und wir sterben in einem Atemzug.
Ich fragte meine Mutter, was wir die unzähligen Jahre tun werden, in denen wir tot sind.
Ist die Zeit, die uns hier einfach so verfliegt alles? Ist es von Belang, was wir mitnehmen und wem wir begegnen, wenn wir durch die eine Tür in das Leben hinein laufen und am Ende des Raume mit leeren Händen wieder hinaus gehen?
Meine Mutter ist eine kluge Frau, die das Leben mit einer Leichtigkeit lebt, als hätte sie noch nie irgendetwas verloren. Sie antwortete mir mit einer Gegenfrage:
Was haben wir die unzähligen Jahre gemacht, als wir noch nicht gelebt haben? Erinnerst du dich an deine Zeit in meinem Bauch oder die Zeit davor? Vielleicht hast du schon einmal gelebt und den Schmerz schon einmal gefühlt. Vielleicht hast du ein letztes Mal die Chance diesmal anders zu leben oder du wirst dir nie bewusst, dass jeder Moment, dein letzter sein kann. Wir alle verlieren etwas auf unserem Weg. Aber manches kommt dann und wann zurück. Ganz unerwartet in diesem Leben noch oder einer ganz anderen Zeit. Manchmal begegnet uns Liebe als Freundschaft wieder oder eine Erinnerung als ein Traum. Der Tod eines anderen Menschen, kann uns unser Leben wieder geben und ein Fehler, den wir gemacht haben, kann unser Schicksal in die richtige Richtung lenken. Du musst lernen loszulassen, wenn die Zeit diese Veränderung fordert. Ein Schritt folgt dem nächsten und es geht immer vorwärts.
Nichts, was wir hier ansammeln, ist mehr wert, als der Flügel einer toten Fliege, sagt der Koran. Kein Geld, kein Gold, keine Legosteine, keine Menschen, keine Träume und nicht einmal Liebe wird uns retten, weil wir sie nicht mitnehmen können. Aber die Momente, die mit mehr gefüllt sind, als alles, was diese Welt fassen kann, werden immer da gewesen sein und selbst wenn wir uns schon lange nicht mehr an sie erinnern, bleiben sie ein Teil von uns.
Alles, was schwer ist, wird auf den Grund des Flusses sinken und unsere Schätze werden wieder an die Oberfläche steigen und weiter und weiter ins Meer der Zeit treiben, bis wir sie irgendwann aus den Augen verlieren. Auch die Menschen, die kein einfaches Echo, sondern echt sind, uns antworten, mit uns auf den schäumenden Wellen schwingen, wie die schönsten Melodien, werden weiter treiben.
Lassen wir forttreiben, was wir lieben. Selbst, wenn wir uns am liebsten festklammern würden. Sie werden den Stürmen und Gezeiten trotzen. Sie werden an die Stände jener Inseln gespült, deren Küsten zugleich Sonne und Mond sind.
Das Leben ist ein Atemzug, wenn wir an die Ewigkeit denken.