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Kopftuchverbot vor Gericht – Warum?

Baden-Württembergs grün-schwarze Koalition will sichtbare religiöse oder weltanschauliche Symbole aus Gerichten fernhalten. Ich habe kein Verständnis dafür und kann diese Entscheidung auch nicht nachvollziehen. Die SÜDWEST PRESSE hat mit mir darüber gesprochen.

Kopftuchtragende Richterin in Großbritannien

Kopftuchtragende Richterin in Großbritannien

Frau Kayikci, in Baden-Württemberg soll es ein Kopftuchverbot für Richter und Staatsanwälte geben, weil diese den Staat vertreten, der weltanschaulich neutral sein soll. Was halten Sie davon?

Merve Kayikci: Nichts – es ist eine reine Äußerlichkeit. Es ist doch klar, dass jeder Richter unter seiner Robe auch ein Mensch ist und keine Maschine. Jeder Richter hat privat auch eine politische Meinung, ist vielleicht Mitglied in der CSU, Vegetarier, homosexuell, hat womöglich Tätowierungen – aber trotzdem trauen wir ihm zu, dass er bei der Arbeit differenziert urteilen kann und neutral ist, wenn er seine Robe anzieht. Auch eine Muslima, die kein Kopftuch trägt, ist ja eine Muslima. Ich finde es lächerlich, zu unterstellen, dass ein Stück Stoff mich in meinem Urteilsvermögen beeinflussen könnte. Wie sollte ich es als Richter denn geschafft haben, das Staatsexamen zu bestehen, wenn ich ein so primitiver Mensch sein soll?

Die Politik will eigentlich mehr Migranten im Staatsdienst. Welches Signal sendet ein Kopftuch-Verbot an die Muslime?

De facto verbietet der Staat auf diese Weise gläubigen Muslimas, Richterin zu werden. Dabei hat er eine Vorbild-Funktion: Wenn der Staat mit diesem Beispiel vorangeht, wie sollen da Unternehmen diskriminierungsfrei mit den Frauen umgehen? Ich habe das Gefühl, dass Muslime in Deutschland sehr stark vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt werden und dass ihnen viele Möglichkeiten genommen werden, die Gesellschaft mitzugestalten. Solche Regeln verstärken nur Ängste, rassistische Strukturen und verhindern Integration.

Sie haben mal in Tübingen Jura studiert – was hat sich seitdem geändert?

Bei mir viel, in Deutschland leider wenig. Als ich angefangen hatte, Jura zu studieren, dachte ich, wir befinden uns in einer Umbruchphase. Ich dachte, die muslimische, kopftuchtragende Akademikerin könnte das Bild des Islams in Deutschland verändern. Ich dachte, dass die Gesellschaft offener wird und muslimische Frauen irgendwann als Bereicherung wahrgenommen werden. Stattdessen diskutieren wir seit Jahren immer wieder dieselben geistlosen Fragen: Was darf eine muslimische Frau anziehen? Wo darf sie hin? Was darf sie tun?

Wie meinen Sie das – einige Urteile haben doch in letzter Zeit Kopftuchverbote etwa im Schuldienst gekippt?

Aber in der Gesellschaft gab es einen Aufschrei, als das Bundesverfassungsgericht entschied, dass kopftuchtragende Frauen als Lehrerin arbeiten dürfen. Ich habe auch erlebt, wie viele muslimische, kopftuchtragende Frauen trotz beruflicher Kompetenzen und trotz gesetzlichem Schutz in Bewerbungsverfahren ausgegrenzt werden – oder in Hinterzimmer gesperrt vom Publikumsverkehr ferngehalten. Ich habe auch in meinem Studium in Tübingen Rassismus und Ausgrenzung erlebt. Es ist frustrierend zu sehen, dass auch der Staat anscheinend in vielen Bereichen kein Vertrauen in die Kompetenz der muslimischen Frau hat. Warum sonst dürfen Frauen, die Kopftuch tragen, keine Richterinnen oder Polizistinnen werden? Nur um das klar zu stellen: Es gibt natürlich auch positive Beispiele und ich begegne auch vielen weltoffenen Menschen, aber ich will auch auf Missstände aufmerksam machen.

Kritiker argumentieren, das Kopftuch sei auch ein Zeichen der Unterdrückung von Frauen.

Jede Frau muss individuell entscheiden, ob sie das Kopftuch tragen will oder nicht. Niemand sollte dazu gezwungen werden. Und niemand sollte dazu gezwungen werden, es abzulegen. Aber wenn junge, selbstbewusste Muslimas mit Kopftuch studieren, wenn es Akademikerinnen mit Kopftuch gibt – dann ist doch genau das ein Zeichen gegen die Unterdrückung und gegen die patriarchalische Vorstellung die vom Islam herrscht. Warum führen wir es nicht für 5 Jahre auf Probe ein, dass man mit Kopftuch machen darf, was man will. Jede Frau, die sich für ein Kopftuch entscheidet, soll tun können, was sie möchte, ohne Nachteile dadurch zu haben. Und dann schauen wir, was passiert. Denken Sie, dass irgendetwas Schlimmes passieren könnte? Ich denke eher, dass alle sehen würden, wie unsinnig diese Diskussion um das Kopftuch ist, wie viele taffe muslimische Frauen es gibt, und niemand wird mehr einen guten Grund finden können, das Kopftuch aus der Mitte der Gesellschaft zu verbannen. Meine Forderung ist: Jede Frau und jeder Mensch sollte sein Leben gestalten können, wie er möchte, und ich habe die These, dass das Deutschland nur voranbringen kann und nicht schaden wird.

Merve Kayikci, (22) studiert derzeit an der Hochschule der Medien in Stuttgart und bloggt unter www.primamuslima.de

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